Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
verboten war. Auf dem Land wurden z.B. auch koschere Speisen und koscherer Wein hergestellt. Diese fanden, unter anderem wegen ihrer Reinheit, zum Ärger christlicher Händler und Fleischer, nicht selten auch nichtjüdische Abnehmer.
In manchen Urkunden sind sehr hohe Zinsen angegeben, was lange Zeit zu der Annahme führte, hierbei handle es sich um Wuchergeschäfte im modernen Sinn. Aber niemand will die Kuh, die die Milch gibt, schlachten. Diese hohen Zinsbeträge wurden, sieht man genauer hin, nur bei Zahlungsverzug berechnet und sollten abschreckend wirken.
Die Bibel (Ex 22, 24; Lev 25, 36f.; Dt 23, 20f.) schreibt ein Zinsverbot gegenüber Menschen des gleichen Glaubens oder des gleichen Volkes vor. Juden konnten jedoch an Christen, ohne dieses Verbot zu brechen, Geld gegen Zinsen ausleihen. Man konnte aber das Zinsverbot auf vielfältige Weise umgehen, indem man sich beispielsweise einen Anteil am Ertrag des Pfandes zusichern ließ.«Wucher» heißt im Mittelhochdeutschen zunächst einfach «Ertrag»,
usura
(vgl. frz.
usure)
auch nicht Wucher, sondern Nutzen. In den unter dem Namen Bertholds von Regensburg († 1272) überlieferten Predigten finden sich durchaus antijudaische Passagen, aber nie bei seinen scharfen Kritiken an unerlaubten Geldgeschäften und Spekulationen.
Klöster dienten Fürsten und Adeligen als «Sparkassen», wo sie mit ihren Schenkungen «einzahlten», sich bei Gelegenheit «aushelfen» ließen und dafür wieder eine angemessene Spende versprachen. Dieser Praxis begegnen wir oft bei der Finanzierung von Pilger- und Kreuzfahrten: Adelige ließen sich die fromme Fahrt finanzieren, «schenkten» dafür einen Acker oder ähnliche Güter und revanchierten sich im Falle der glücklichen Heimkehr noch mit einer Reliquie. Manche aber «vergaßen» ihre Schenkung. Dann kam es zum Streit und es konnte vorkommen, dass ein klösterlicher Schreiber genauere Aufzeichnungen über das komplizierte Geschäft verfasste – ein Glücksfall für den modernen Historiker. Das nährt den Verdacht, dass so manches, was als fromme Schenkung in den Urkunden steht, ein recht irdisches Geschäft gewesen sei.
Die päpstliche Kurie, die mit ganz Europa in Kontakt stand, bediente sich seit dem 13. Jahrhundert einer Art bargeldlosen Geldverkehrs, indem sie Beträge über ein Netz von Händlern (Bankiers) auf Abgaben und Gebühren anschrieb und mit solchen Wechseln transferierte. Auch wer an die Kurie reiste, bewegte größere Summen mit diesem System.
Die großen Summen für höhere Adelige, Fürsten und Könige, die jüdische Geldgeber oft nur im Verbund aufbringen konnten, waren im Normalfall Investitionskredite – wenn man, ohne zynisch sein zu wollen, Krieg als Investition gelten lässt. Da es unter Juden ein Konkurrenzverbot gab, entwickelten sich oft recht enge Beziehungen zwischen den Geldgebern und ihren noblen Kunden.
Zu den Lebensverhältnissen der Juden in den Städten werden wir später kommen (S. 160f.). Das teilweise falsche Bild vom mittelalterlichen Kreditwesen vor dem Wiederaufstieg der Banken abdem 13. Jahrhundert stammt einerseits aus der antijüdischen Propaganda, andererseits daher, dass auch die Forschung lange Zeit eher die Katastrophen und Verbrechen als den Alltag untersucht hat, in dem das Kreditwesen keineswegs dominiert.
Fernhandel
Der Fernhandel lohnte sich, außer auf dem Wasserweg, d.h. flussabwärts und auf dem Meer, nur mit haltbaren Gütern des gehobenen Bedarfs und mit «Waren», die selbst laufen, wie etwa Rinder. Eine Ausnahme war das Salz, das von jedermann verwendet wurde, aber auch, wo es ging, über größere Strecken auf dem Wasserweg transportiert wurde. Die Hanse, jener berühmte niederdeutsche Städtebund, in dem Städte wie Lübeck, Bremen, Hamburg und Köln eine führende Rolle spielten, konnte im Zweiten Mittelalter übers Meer auch Massengüter wie Holz, Getreide oder konservierte Fische führen. Das Tuch aus Flandern oder England und die Pelze, eine häufige Gegenfracht, wurden aber auch über Land bewegt, wenn die Wertschöpfung hoch genug war.
Wie erwähnt, wurden größere Mengen Wein über die Alpen transportiert, wobei man sich fragen kann, ob nicht das Prestige, einen «Falerner» – der schon in der Antike sprichwörtlich war – zu servieren, höher war als die Qualität, die durch den Transport auf den Saumtieren gelitten haben mag. Unter diesem Namen wurde wohl ein «welscher» Wein verkauft, der wegen seiner Süße die nördlich der Alpen
Weitere Kostenlose Bücher