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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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Kirchenhoheit
    Dabei spielte der Einfluss auf kirchliche Institutionen eine große Rolle. Die Kirche war auf zwei Ebenen besonders auf die Laien angewiesen: zum einen, wie mehrfach erwähnt (vgl. u.a. S. 110),als Sponsorinnen und Sponsoren, Errichter und Erhalter von Kirchen und darüber hinaus als Vögte. Geistliche konnten, weil sie nicht kämpfen durften, nicht selbstständig vor Gericht auftreten. Dafür brauchten sie
advocati,
Rechtsvertreter, woraus sich das Wort «Vogt» bildete. Die Vögte bekamen Teile der bei Gericht anfallenden Gebühren, nahmen Einfluss auf die von ihnen vertretenen Institutionen und benutzten nicht selten Kirchengut als Basis für ihre eigenen Interessen. Unzählige Streitigkeiten waren die Folge.
    Die Adeligen, Fürsten und Könige waren ihrerseits auf die Kirchen angewiesen: Ihr Anliegen war nicht nur die geistliche Betreuung, sondern auch die Besetzung von Posten. Damit konnte man nicht erbende Verwandte standesgemäß versorgen, den Einfluss auf die entsprechende Institution erhöhen und innerhalb des Verwandtschaftsverbandes Geistliche als Vermittler zum himmlischen Herrn haben. Die Besetzung der Bistümer war für die römischdeutschen Könige bis zum Investiturstreit ein wichtiges Herrschaftsinstrument. Danach musste jedoch selbst der König bestimmte Regeln einhalten, wenn er auf Bischofswahlen Einfluss nehmen wollte. Die französischen Könige behielten den direkten Zugriff noch länger, denn die Kirche trachtete dort zunächst nach einer Emanzipation von den Fürsten und benötigte dafür den Schutz des Königs.
    Die Oberschicht war also vielfach eingebunden in ein weiteres Netzwerk, das ihre Beziehungen zu kirchlichen Institutionen bildeten. Die Kontrolle über dieses Netzwerk war einer der wichtigsten Schritte zur Landesbildung. Bei der Neustrukturierung der Diözesen im 12. Jahrhundert, mit der konsequenten Einrichtung eines Pfarrnetzes (vgl. S. 110), suchten die Bischöfe wenn möglich Fürsten als starke Partner. Die Zisterzienser akzeptierten überhaupt nur Fürsten als Vögte. Andere Einrichtungen unterstützten die Fürsten, damit ihre Dienstleute bevorzugt Vogteirechte bekamen. So gelang es ihnen nach und nach, eine Kirchenhoheit in ihren werdenden Ländern, den Territorien, zu gewinnen.
Gerichte
    Ein weiterer Bereich, in dem die Landesbildung ansetzte, war das Gerichtswesen. Schon der Personenverband der «Landschaft» verstand sich als Gemeinschaft des gleichen Rechts, des Landrechts. «Recht» bedeutet zunächst einmal die Gewohnheit einer Personengruppe, ihre alltäglichen Konflikte zu regeln. Nach dem Vorbild des römischen Rechts und im Interesse von Herrschern konnte es aufgeschrieben werden. Das geschriebene Recht war im Mittelalter aber in keinem Fall eine stetig anzuwendende Norm wie der Code Napoleon oder das Bürgerliche Gesetzbuch, sondern bestenfalls eine Beispielsammlung, nach der sich eine Gerichtsversammlung richten konnte, wie bei den Präzedenzfällen im angelsächsischen Recht.
    Die Zugehörigkeit zu einer Rechtsgemeinschaft verlor man im Laufe seines Lebens genauso wenig wie die Zugehörigkeit zu einem Volk; Rechtsgemeinschaft und Volk kann unter Umständen dasselbe bedeuten. Man konnte also in der Fremde verlangen, nach eigenem Recht beurteilt zu werden. Niemand – außer dem Kaiser – spricht oder setzt neues Recht, sondern das Recht wurde in einer Gerichtsversammlung gefunden, die aus jeweils standesgleichen Personen zusammengesetzt war. Der Gerichtsherr, wie hochgestellt auch immer, war theoretisch nur der Vorsitzende dieser Versammlung, der das Verfahren regelte.
    Es gab eine Stufenleiter der Gerichte, vom Dorfgericht, das kleinere Konflikte regelte, bis zum Gericht unter dem Vorsitz des Fürsten bzw. Königs, dem in der Regel die Blutgerichtsbarkeit, d.h. die Fälle, bei denen Todesstrafe drohte, vorbehalten war. Dasselbe galt im kirchlichen Bereich, wo die schwereren Fälle dem bischöflichen Gericht vorbehalten waren, manche sogar dem Papst. Die Landesherren waren die Vorsitzenden von Gerichten, die über die höheren Adeligen urteilen sollten. Das zuständige Hofamt war das des Marschalls. Lange Zeit wandten sich die Menschen an dasjenige Gericht, bei dem sie am ehesten hoffen konnten,ihr Recht zu finden. Im 13. Jahrhundert bildeten sich langsam feste Gerichtssprengel und Zuständigkeiten heraus.
Marken und Länder
    Im Altsiedelland überlagerten einander die verschiedenen Netzwerke besonders dicht. Interferenzen waren nicht

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