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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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römischen Agrarstrukturen heute noch sichtbar. In der deutschen Sprache sind in Form von Lehnwörtern Erinnerungen an wichtige Elemente der Agrarkultur erhalten, die durch die Römer über die Alpen gebracht oder wenigstens, aus keltischen Wurzeln, überformt wurden: die Alm
(alpes),
«der» (in manchem Dialekt noch erhalten) Butter
(butyrus),
der Senn (von
senior,
Altknecht) usw., abgesehen von zivilisatorischen Annehmlichkeiten wie der Straße
(via strata,
gepflasterte Straße) oder dem Fenster
(fenestra).
    Noch in der Spätantike mussten viele Bereiche der Landwirtschaft grundlegend umgestellt werden. Der großräumige Warenaustausch funktionierte nicht mehr (vgl. S. 150); Olivenöl kam nicht mehr über die Alpen. Der Großgrundbesitz verlor die Sklaven, die die mehrspännigen Ochsengespanne geführt hatten. Daherrichtete man den Pflug für kleinere Gespanne ein, bei denen ein Pflüger ausreicht. Die verbliebene Bevölkerung zog sich in befestigte Orte zurück. Aber, um eine lange Geschichte kurz zu machen, man darf sich die Umstellungen auf dem Land nicht zu radikal vorstellen: Die neuen Herren, egal, woher sie kamen, brauchten ebenfalls eine Grundversorgung.
    Wer einmal «römisches» Obst gekostet hatte – die meisten Zuchtformen kamen von weiter her, viele aus dem Orient –, wird kaum mehr Sehnsucht nach Holzäpfeln und -birnen gehabt haben, und die Bäume überstanden manchen Sturm. Das Wort für den Pfirsich wurde früh übernommen (von
Persica),
und seine Kerne finden Archäologen im ganzen Mittelalter. Die Völker der großen Wanderbewegungen am Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter strebten ja nicht ins Leere, sondern wollten so viel wie möglich von der römischen Zivilisation profitieren. Trotz aller Gewaltanwendung ließen sie auch Schmiede am Leben, die sie für ihre Waffen und Repräsentationsgegenstände brauchten, und die Winzer ließen sie weiterhin keltern
(calcare,
treten, in der Torkel, der Weinpresse,
torculum),
auch wenn sie für den Wein
(vinum)
vielleicht nicht immer zahlten, den sie aus den Kellern
(cellarium)
holten.
    Ein Grund für Wanderbewegungen aus dem Norden war vielfach der Hunger. Germanische Landwirtschaft, wenn in aller Kürze eine solche Verallgemeinerung erlaubt sei, scheint recht krisenanfällig gewesen zu sein. Es ist archäologisch nachgewiesen, dass manche Gruppen ein fast nomadisches Leben führten: Ganze Dörfer wurden verlegt, wenn der Boden ausgelaugt war. Die wichtige Kunst der Düngung wurde nicht immer und überall beherrscht.
    Im Bereich der Viehzucht setzte sich die keltische bzw. germanische Agrarkultur aber gegen das scheinbar bessere römische Vorbild durch. Die Größe der Rinder ging radikal zurück, bis zu einer Widerristhöhe von 1,10 m. Die römische Zucht konnte oder wollte man offenbar nicht weiterführen. Waren die Zuchttiere alle geschlachtetworden oder war es der Stolz auf das eigene Vieh, das in den keltischen und germanischen Oberschichten genauso viel Prestige genoss wie in den römischen, wo aus
pecus
(Vieh)
pecunia
(Geld) wurde?
    Abb. 30: Pflügender Bauer, Salzburger Kalendar, um 818, ONB Cod. 387, fol. 90v
    Die «jungen» Völker brachten außerdem etwas Neues: Schweine. Diese sahen nicht viel anders aus als heute noch Wildschweine, mit denen sie sich auch paarten, wenn sie im Herbst zur Mast getrieben wurden. Schweinehirt zu sein, war im Unterschied zur Aussage der Bibel (Lk 15, 15) ein zwar harter, aber angesehener Beruf. Man kann seither Europa in zwei Zonen teilen: die der Schafe und Ziegen und die der Schweine. Das Kleinvieh war für die tägliche Versorgung lange Zeit weit wichtiger als die Rinder.
Karolingische Reform
    In der Karolingerzeit wurden die römischen Agrarschriftsteller systematisch abgeschrieben und verbreitet (vgl. S. 135). Die damals durchgeführte Agrarreform wirkte vermutlich nachhaltiger als andere Errungenschaften dieser Zeit im Bereich der Kirchen- und Staatsreform. Denn der Adel stellte, wie erwähnt (S. 56), nur die eine Seite des Feudalsystems, der unfreie, aber zugleich auf seinemGut frei arbeitende Bauer die andere. Den Erfolg verdankt dieses Konzept einer weiteren Erfindung: der Hufe. Die «Hufen», Bauernstellen – vom mhd. Wort
huoba
kommt der häufige Name «Huber» –, waren genau so groß, dass eine bäuerliche Kernfamilie mit ihrem Personal davon leben konnte. Das waren in mitteleuropäischen Ertragsverhältnissen etwa 30 Joch, ca. 10–15 Hektar. Diese «Hufenverfassung» wurde

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