Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters
zu vermeiden und eine Abgrenzung der Herrschaft war schwer zu ziehen. Etwas anders waren die Voraussetzungen in den Marken. Markgrafen standen zwar in der Rangordnung unter den Herzogen, hatten aber aufgrund ihrer Funktion im Grenzschutz eine unmittelbare Beziehung zum König bzw. Kaiser. Aus dem Grenzsaum wurde relativ schnell ein eigenes Land, denn die Markgrafen hatten in militärischen Dingen den direkten Zugriff auf die Mannschaften anderer adeliger und kirchlicher Gewalten. Außerdem gab es meist spezielle Abgaben zur Aufrechterhaltung einer militärischen Grundpräsenz. Und drittens waren die Marken ein Entwicklungsgebiet, in dem man talentierte Leute einsetzen konnte.
Das Werden eines Landes ist ein über viele Generationen reichender Prozess. Dazu gehören materielle und personale Ressourcen, große organisatorische Fähigkeiten und die Schaffung eines Gemeinschaftsbewusstseins. In Westeuropa waren zuerst die Auseinandersetzungen der Kapetinger-Könige mit den Fürsten und dann der Hundertjährige Krieg maßgeblich dafür, dass die Vorstellung von einer territorialen Nation wie «Frankreich» und «England» in den Köpfen der Bewohner entstand.
Kolonisation
Die Zisterzienser wollten nicht nur zum Geist der Regel des heiligen Benedikt zurückkehren, sie gingen tatsächlich in die «Wüste», d.h. meist den Wald. Sie ließen sich, wenn man nachrechnet, oft etwa eine halbe Tagesreise von der Zivilisation entfernt nieder, damit Lieferanten und Besucher am selben Tag wieder zurückgehenkonnten, denn die an sich von Benedikt vorgesehenen Verpflichtungen zur Gastlichkeit hätten die Askese gestört. Manchmal, wie in Zwettl (Niederösterreich), wurden sie in ein nur locker besiedeltes Gebiet berufen und wandelten die Infrastruktur dort um.
Kolonisieren heißt nicht bloß, eine Wildnis zu roden und urbar zu machen, sondern vor allem, sie in ein Herrschaftsgefüge einzuordnen. Das geht nicht immer ohne Streit. Nicht selten stößt die Absicht auf andere, schon länger vorhandene Interessen. So geschah es schon bei der Gründung von Fulda (744), wo «plötzlich» Leute mit «ungerechten» Ansprüchen auftauchten. Archäologische Grabungen haben gezeigt, dass der Platz schon vorher bewohnt war. Leere Wildnis gab es bereits im frühen Mittelalter nicht mehr unbegrenzt.
Kolonisieren bedeutet auch Freiheit, nicht nur für Mönche. Man musste geeignete Leute dafür motivieren, die harte Arbeit der ersten Jahre auf sich zu nehmen. Meist schickte man sie in Gruppen, unter der Leitung einer erfahrenen Person, dem «Lokator», und versprach ihnen für den Anfang Abgabenfreiheit und eine gewisse Autonomie; sogar die freie Pfarrerwahl kam vor. Mit diesem Recht wurden deutsche Siedler in die Ostgebiete gelockt. Dieses «deutsche Recht» wurde auch slawischen Personengruppen und Dörfern gewährt. Die Entwicklungsarbeit der Zisterzienser wird, im Unterschied zu anderen, politisch motivierten Expansionen, in Polen bis heute positiv eingeschätzt.
So entstand ein Landschaftstyp, in dem kleinere und meist gepflegte Waldungen Bestandteil der Kulturlandschaft wurden. Dieser Typ wurde namengebend, wie im Bayerischen Wald oder im Waldviertel in Niederösterreich. Die Umwandlung der Landschaft hatte eine ökologische Folge, die Zeitgenossen gar nicht auffiel: Die Rodung förderte die Erosion. An den Unterläufen der Flüsse, die aus Rodungsgebieten kamen, stieg der Wasserspiegel bis zu einem halben Meter, was mancherorts die Fruchtbarkeit des Bodens erhöhte.
So wurde das 13. Jahrhundert zu einer «Erntezeit des Mittelalters», im 14. Jahrhundert aber mehrten sich die Krisen. Das hervorstechendste Symptom für diese strukturellen Probleme ist die Pest um die Mitte jenes Jahrhunderts (S. 39f.).
Bergbau und Landschaft
Die Bodenschätze werden bei nahezu jedem
locus amoenus
(S. 217) erwähnt. Aber selten wird einem bewusst, wie stark der Bergbau in die Gestaltung der Landschaft eingriff. Das gilt schon für die vorgeschichtliche Zeit, aus der Archäologen so manche große Halden kennen, wo Wanderer unberührte Natur vermuten. Schwerwiegende Auswirkungen für die Landschaft hatte der Bergbau der Antike. Das keltische Königreich Norikum war berühmt durch das norische Eisen vom Hüttenberg in Kärnten und – vielleicht – vom Erzberg in der Steiermark. Es war für die Kulturgeschichte nicht ohne Folgen, dass dieses Königreich ohne Krieg ins Imperium Romanum eingegliedert wurde: Auf diese Weise blieb innerhalb der römischen
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