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Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters

Titel: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Brunner
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ausgewogenes Bild ergebe. Für die Brüder von Limburg und ihren Auftraggeber, den Herzog von Berry, war im beginnenden 15. Jahrhundert die Landschaft vor den abgebildeten Burgen offenbar genauso wichtig wie diese selbst. Beides spiegelt den Gestaltungswillen der Herrschaft.
    Viele Landschaftselemente haben rein praktische Ursachen: Die Breite der Straßen sollte verhindern, dass die Ackerfrüchte vonden Reit-, Zug- und Tragtieren angeknabbert werden, aber auch – wie einmal ausdrücklich bemerkt wird – ermöglichen, dass man Räuber rechtzeitig sah. Die überregionale Straße ist eine eigene Rechtszone und damit ein fürstliches oder königliches Band, das ein Land erfasst. Brücken müssen durch Vorwerke geschützt werden, ihre Aufbauten zeigen oft, dass sie ebenfalls ein eigener Rechtsbezirk sind: nicht nur, weil man für ihre Überquerung Zoll zu zahlen hat, sondern auch, weil auf ihnen Geschäfte abgewickelt werden können, die anderen Regeln als in der Stadt unterworfen waren.
    Untersucht man spätmittelalterliche und neuzeitliche Landschaftsdarstellungen genauer, so fallen in der Umgebung von Herrschaftssitzen oft solide gebaute Mühlen und Schmieden auf. Außerdem gehören zur Herrschaft deutlich markierte Gerichtsstätten. Zeichen zeigen in und vor Städten und Märkten das dort ausgeübte Recht an. Der Pranger ist Zeichen und Instrument des obrigkeitlichen Rechtsvollzuges, der Galgen, der außerhalb der Orte, aber weithin sichtbar stand, zeigte die hohe Gerichtsbarkeit (also inklusive der Todesstrafe) an. Viele Wegzeichen und Denkmäler waren ursprünglich Rechtsdenkmäler, z.B. an Zuständigkeitsgrenzen von Gerichten.
    Der Bau einer Höhenburg (vgl. S. 62) hatte natürlich auch strategische Gründe. Mancherorts aber, wie z.B. in der Pfalz im Rheinland oder im niederösterreichischen Kamptal, kann man am militärischen Aspekt zweifeln: Dort und in anderen Gegenden geht es vor allem um die Präsenz der Herren in einer gesellschaftlich bedeutsamen Umgebung.
    Symbolische Präsenz in der Landschaft ist ein wichtiges Motiv, auch wenn ein Herr gar nicht auf der Burg sitzt. Präsenz zeigen auch viele Klöster, vor allem des «alten» Ordens der Benediktiner. Allerdings muss man berücksichtigen, dass diese nicht selten an aufgegebenen Burgbergen gestiftet wurden. Funktion und Repräsentation gehen ineinander über, und zu beiden gehört der Bezug zum Umland. Die Bauten gliedern es und richten den Blick derMenschen aus, und zwar sowohl auf sie hinauf als auch von ihnen herunter. Sie stellen das Selbstbewusstsein der Menschen sichtbar in die Gegend.
Pilgerwege
    Andere Zeichen markieren Pilgerwege, als Wegweiser und fromme Verweilorte, aber auch als Hinweise auf den geschützten Rechtsstatus, den Pilger auf diesen Wegen genossen. Diese hatten, neben ihrem Pilgergewand, normalerweise die Bestätigung oder ein Zeichen einer geistlichen Obrigkeit dabei, die ihren Status auswiesen. Der wurde offenbar auch missbraucht, denn sonst wäre aus dem Wort «Pilger» nicht das in Österreich bekannte «Pü(l)cher», Gauner, geworden. Viele Wallfahrtsorte wurden von klösterlichen Gemeinschaften betreut oder gingen aus Klöstern hervor. Wichtige internationale Wallfahrtsziele waren Jerusalem, Rom und Santiago. Viele Rom-Pilger gingen zusätzlich auf die adriatische Seite zum Sporn des «Stiefels» nach Monte Sant’Angelo am Gargano.
    Große Bedeutung hatten aber auch die zahllosen regionalen Wallfahrtsziele. An Maria, der Gottesmutter, konnte man sich mit allen Anliegen wenden, und Marien-Heiligtümer gab es allerorts. Die überlieferten Wundergeschichten, z.B. bei dem Zisterzienser Caesarius von Heisterbach († 1240), haben nahezu anarchische Züge: Seiner Mutter konnte Christus ja nichts verwehren, auch wenn es den herrschenden Regeln widersprach. Das ergibt in den Legenden die köstlichsten Geschichten. Maria streitet mit den Teufeln um eine Seele, dient anstelle einer Pförtnerin im Kloster, bis die reuig wieder zurückkehrt, und wenn ein unkeuscher Mönch zu sterben droht, dessen Schuld nicht zu leugnen ist, dann erweckt sie ihn wieder zum Leben, damit er ausreichend büßen kann.
    Dazu kamen, wie erwähnt (S. 39), die «Spezialisten» und «Spezialistinnen» unter den Heiligen. Sie helfen gegen Krankheiten von Mensch und Tier, behüten vor Feuersbrunst und sorgen für erwünschte Nachkommen. Das ganze Spektrum menschlicherÄngste, Bedürfnisse und Sehnsüchte tut sich in diesen Geschichten auf. Die populärsten

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