Kleine Luegen erhalten die Liebe
doch er hat schon das Interesse verloren, und als Joshi schließlich sagt: »Ich glaube, die Bewässerungssysteme in Bolivien sind etwas anders als in England«, ist er damit beschäftigt, sich Wein in seinen Plastikbecher nachzuschenken.
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Joshi geht zur Toilette und lässt Fraser und Karen allein, worauf ein etwas unbehagliches Schweigen zwischen ihnen entsteht. Sie schaut ihn über ihren Becher hinweg an und wiegt sich auf eine merkwürdig gezierte Art und Weise in den Hüften.
»Darf ich dich etwas fragen?«, sagt sie, und Fraser unterdrückt die Unruhe, die ihn jedes Mal erfasst, wenn sie ihn aus ihren stark geschminkten Augen so ansieht.
»Klar.«
»Hast du ein Problem mit …?«, sagt sie mit einer seltsam ruckartigen Kopfbewegung.
»Womit?«
»Mit einem gewissen Jemand «, zischt sie und nickt in Richtung Tür.
»Was, mit Joshi? Nein. Warum sollte ich ein Problem mit ihm haben?«
»Ja, warum solltest du?« Sie errötet, als machte sie schon wieder einen Rückzieher. »Ich glaube natürlich auch nicht, dass du eins hast. Ich meinte nur, falls du denkst, da liefe etwas zwischen uns – du weißt schon, dass ich auf ihn stehe oder er mit mir flirtet …«
Fraser runzelt die Stirn. »Nein, überhaupt nicht …«
»Na ja, wahrscheinlich wollte ich nur sagen, falls du eifersüchtig bist, Fraser, hast du keinen Grund dazu, okay?« Sie nimmt seine Hand und drückt sie. »Weil ich nämlich weder auf ihn stehe noch sonst was, weißt du?«
Fraser kann nicht umhin zu denken, dass sie zu entschieden protestiert, aber etwas tief im Inneren leidet trotzdem, weil er wünscht, er wäre eifersüchtig: Das ist das Problem.
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Die zweite Hälfte der Salsa-Stunde verläuft deutlich besser als die erste, da Fraser zumindest schon die Grundschritte zustande bringt, ohne sich oder andere zu verletzen.
Gegen Ende des Unterrichts macht es ihm schon beinahe Spaß, und Karen und er beschließen, noch irgendwo etwas zu trinken, um zu feiern. Trinken ist derzeit der Schlüssel zu ihrer Beziehung, muss sich Fraser eingestehen. Solange Alkohol im Spiel ist, schafft er es gerade noch, seine Zweifel in den Hintergrund seines Bewusstseins zu verbannen. Es ist erst drei Uhr nachmittags an einem regnerischen Tag, und sie haben sich so wenig zu sagen, dass ihn wirklich langsam Panik überkommt.
Also machen sie sich zum Las Iguanas auf der Dean Streetauf und trinken drei – und Fraser sogar vier – kleine Flaschen Corona, nach denen er sich viel besser fühlt, als sie in den kühlen Abend hinaustreten und zur Oxford Street und ihrem Bus gehen, viel mehr wie carpe diem und que será und andere fremdsprachige Redewendungen, nach denen er sich zu leben vornimmt, wenn er betrunken ist.
Er nimmt Karens Hand. Soho ist seltsam still, schon fast menschenleer um diese Zeit an einem Dienstagabend, und er weiß, dass es wahrscheinlich daran liegt, dass er ein bisschen angeheitert ist. Aber plötzlich fühlt er einen Anflug von Zuneigung zu Karen in sich erwachen. Das ist okay, denkt er, das reicht. Sie ist nicht Liv, wird niemals Liv sein, doch ich habe wenigstens jemanden.
Er denkt daran, die Nacht bei Karen zu verbringen, mit ihr ins Bett zu gehen und den Kopf auf ihre weichen Brüste zu legen. Dann stellt er sich die Alternative vor: allein nach Hause zurückkehren, die Tür zu dieser gottverdammten Stille öffnen, die nur vom Piepen des Rauchmelders unterbrochen wird, der eine neue Batterie braucht, und denkt sich: Nein, vielen Dank, darauf kann ich gern verzichten.
Sie drückt seine Hand. »Ich hatte einen wunderschönen Tag und Abend heute.«
»Ich auch«, stimmt Fraser zu und meint es sogar ehrlich.
Sie gehen zum Ende der Dean Street und um den Soho Square herum, wo zwei abgezehrte Obdachlose in einen Streit verwickelt sind.
In müdem Schweigen schlendern sie über die Oxford Street weiter zur Bushaltestelle und haben erst ein paar Minuten auf der roten Plastikbank gesessen, als scheinbar aus dem Nichts eine betrunkene Gestalt auftaucht.
»Karen?« Der Mann ist so stark alkoholisiert, dass er nicht mehr gerade stehen kann. »Was zum Teufel machst du hier?«
Er hat ein hartes Gesicht mit einem schielenden Auge – ein Gesicht, das Fraser sofort verrät, dass es klug ist, den Kerl nicht zu verärgern.
»Darren.« Karen lässt Frasers Hand los, und selbst an dieser kleinen Geste erkennt er, dass diese Situation in einer Katastrophe und in Blutvergießen enden könnte. Das hält ihn jedoch nicht davon ab zu kichern.
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