Kleine Luegen erhalten die Liebe
Frage – die Tränen würde zurückhalten können, falls es wirklich einmal wehtat. Doch diesmal (woher auch immer) schießt Adrenalin durch seine Adern, und sein männlicher Instinkt setzt ein und zwingt ihn, sich hier anzustrengen. Er kann nicht schreien: He, dutust mir weh, und brich mir bitte nicht die Nase! Sie ist auch so schon schief genug!
Deshalb versucht er, Darren wenigstens von sich herabzustoßen, weicht einem Fausthieb aus und nimmt jede männlich-furchtlose Zelle in seinem Körper zusammen, um sogar zweimal zurückzuschlagen. Aber er zieht den Kürzeren, und plötzlich knallt er mit dem Rücken gegen eine Wand, hört etwas knacken und verspürt einen solch scharfen Schmerz, dass ihm der Atem in der Kehle stecken bleibt. Dann beginnt seine Nase zu laufen, und – platsch, platsch – bilden sich dicke rote Blutflecke auf dem Boden.
»Scheiße, Fraser! Oh Gott! Du verdammter Mistkerl, Daz!«
Dann kommt Karen auf ihn zugelaufen und kniet sich mit einem Ausdruck des Entsetzens neben ihn, doch Fraser sieht nur Sterne und ist viel zu benommen, um etwas zu sagen, außer schließlich: »Au. Das war nicht nötig, finde ich.«
»Nein, das war es nicht. Das war es nicht , Darren, du verdammter Irrer!«
Karen schreit Darren an, der sich jedoch schon abwendet und schwankend, aber völlig unbeeindruckt geht. Er fängt nicht mal an zu laufen, denkt Fraser. Da zeigt sich mal wieder, wie bedrohlich ich doch bin.
»Fraser, Schatz, bist du verletzt?« Karen kniet neben ihm, und ihr besorgter Gesichtsausdruck treibt ihm fast die Tränen in die Augen.
»Bist du okay, Liebling?« Zärtlich streicht sie ihm das Haar aus dem Gesicht.
»Ja, ja, das ist nur ein bisschen Blut«, antwortet Fraser, setzt sich auf und ist sehr stolz auf sich, weil er »nur ein bisschen Blut« sagt, obwohl er am liebsten brüllen würde: DER MISTKERL HÄTTE MICH FAST UMGEBRACHT! Sein ganzes Hemd ist schon durchtränkt von seinem Blut.
»Okay, drück jetzt ganz fest dein Nasenbein zusammen und leg den Kopf zurück, dann säubere ich dich ein bisschen! Ich habe mal im St. John in der Notaufnahme gearbeitet und weiß, was ich tue …« Karen wühlt in ihrer Handtasche und fördert ein Päckchen Feuchttücher zutage. »Es könnte ein bisschen brennen.«
»Danke, Karen, danke. Es tut mir leid …«, nuschelt Fraser, der fast schon an dem Blut erstickt, das jetzt in seine Kehle hinunterläuft.
Karen nimmt sein Gesicht zwischen die Hände, und er versucht, nicht »Au!« zu sagen, weil sein ganzer Kopf inzwischen schmerzt. Sie tupft ihm mit einem feuchten Tuch das Blut ab. »Hör mir jetzt gut zu, Fraser Morgan! Es gibt nichts, absolut nichts, was du bedauern müsstest, hörst du? Eigentlich …« Sie unterbricht sich.
Oh Gott, da ist er schon wieder, dieser Blick!, denkt Fraser.
»… müsste ich dir danken«, fährt sie fort und schaut ihm in die Augen. »Es hat mir viel bedeutet, was hier passiert ist, weil es mir etwas gezeigt hat, weißt du?«
»Nein«, erwidert Fraser. »Nein, das weiß ich nicht.«
»Nun, immerhin hast du einen Fausthieb für mich eingesteckt, nicht wahr? Du hättest dir fast die Nase brechen lassen meinetwegen! Vielleicht hat er dir ja sogar tatsächlich die Nase gebrochen!«
Fraser lächelt schwach. Na prima!, denkt er. Was für ein Held ich doch bin!
»Und ich weiß das zu schätzen, Liebling, das ist alles, was ich sage. Ich war gerührt, Fraser, wirklich sehr gerührt.« Sie hält kurz inne, um ihre Worte wirken zu lassen, bevor sie schließt: »Und jetzt lass uns dich nach Hause bringen!«
Und wieder stirbt ein kleiner Teil von Fraser, weil er begreift, dass er heute eine der demütigendsten Stunden seines Lebenserlebt hat – und das war nur die Tanzstunde –, und sich vielleicht sogar die Nase gebrochen hat, und alles für eine Frau, bei der er sich seiner Gefühle überhaupt nicht sicher ist. Damit hat er nun wirklich nicht gerechnet.
KAPITEL SECHS
Am nächsten Morgen
Lancaster
Sorgfältig darauf bedacht, ihren noch nicht wieder ganz flachen Bauch einzuziehen, rollt Mia sich von Eduardo, greift nach dem Wasser auf dem Nachttisch, leert das Glas und lässt sich in das Kissen zurückfallen.
»Au! Ein Krampf!« Sie schießt buchstäblich in die Höhe und umklammert ihren rechten Oberschenkel.
Eduardo lacht sein leises, entnervendes Lachen. »Das tust du immer, du verkrampfst dich immer«, bemerkt er gähnend, als wäre es eine Art Charakterfehler, so wie in betrunkenem Zustand immer Streit zu
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