Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Transport von Frauen selber vor und nach Abendessen oder auch Gelagen anbetrifft, gibt es Taxis, sofern die Fahrt mit dem Rad sich als unromantisch (warum eigentlich?) oder anderweitig hinderlich erweisen sollte. Dasselbe gilt für Termine mit einem gewissen Kleiderzwang. Im Übrigen muss ein Mensch verdammt oft Taxi fahren, um annähernd so viel Geld auszugeben, wie der Unterhalt auch nur eines Kleinwagens kostet.
Obwohl Radfahren obendrein viel gesünder ist, steigen dennoch Millionen Menschen jeden Morgen und jeden Abend in ihren zweieinhalb Quadratmeter Ersatz-Uterus, stehen im Stau, verstänkern die Luft, verschandeln die Städte mit dem Anblick uniformer Blechkarawanen und verweichlichen ihre Beckenbodenmuskulatur bis zur totalen Verkümmerung derselben. Ich weiß, da ist noch – wir wechseln zurück zur rein maskulinen Warte – der Renommieraspekt, der pekuniäre Potenznachweis in Form von etwas geschniegelt Vierrädrigem. Dazu fällt mir nichts ein.
Erwähnte ich schon, dass ich keinen Führerschein besitze?Das heißt, noch nie einen besaß. Das hängt keineswegs mit der Radfahrerei zusammen; auch früher, als ich etwas oder deutlich moppeliger war und Sport von Herzen verachtete, habe ich sofort zu lärmen begonnen, wenn in meiner Nähe Gespräche über Autos zu entstehen drohten. Da ich mich zu Frauen, die mir gefallen, durchaus ins Auto setze (sofern sie mich lassen) und schon mal von Freunden chauffiert werde, hat es wohl wenig Sinn, wenn ich an dieser Stelle noch darauf verweise, dass der Verbrennungsmotor ein Irrweg ist.
Ich habe mir jedenfalls ein paar Porsches, um bei diesem Klischee von Auto zu bleiben (und das des
primitiven Autohassers
zu perpetuieren), durch die Gurgel gejagt, sie Zylinder für Zylinder verfressen und vertrunken, zuletzt ewig hungrig vom Radfahren – womit sich der Kreis wieder schließt. Das kann mir keiner, auch Freund Hein nicht mehr nehmen.
Ich füge also den Trainingskilometern auf dem Lande oder der Rolle, die in praktischem Sinne völlig unnotwendig sind, jährlich noch ein paar tausend in der Stadt hinzu, die wiederum mit Training nur bedingt, mit Praktikabiliät dagegen einiges zu tun haben. Zum Beispiel, weil ich auf diese Weise ins Büro, ins Restaurant oder die weiterempfehlenswerte Klassik-C D-Abteilung des Kaufhauses Ludwig Beck gelange.
Außerhalb der klimatisch weitgehend überraschungsfreien Sommer und Frühherbstmonate gilt die alte Binse: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Es ist beispielsweise überhaupt kein Problem, bei minus 20 Grad zu fahren, wenn man zwei oder gegebenenfalls auch drei Paar Handschuhe übereinander trägt. Heftigem Regen wiederum trotzt man erfolgreich mit Textilien, die an partielle oder auch Ganzkörper-Kondome erinnern. Das Problem besteht in einer gewissen äußerlichen Verwahrlosung, auf die sich derGanzjahres-Fahrer einlässt. Helle Hosen sind halt einfach schlecht, weil man doch mal die Kette berührt, wenn es schon nicht regnet. Peu à peu (wenn diese Formulierung in einem Radfahrbuch gestattet ist) passt sich die Bekleidung dem Zweck an, wird also eher derb und dunkel. Einen Anzug auf dem Rad zu tragen, empfiehlt sich nur bei absolut eindeutiger Wetterlage; außerdem muss man sich beherrschen können, wenn einer überholt. Schuhe wirft man entweder nach einem Platzregen weg oder ignoriert ihre Form- und Farbeinbuße. Jeans machen sich am besten, weil sie eng sind und man auf ihnen den Dreck nicht sieht. Und so weiter.
Täglich radfahren und zugleich gut gekleidet oder gar schick sein, ist unmöglich. Es kann schon mal passieren, dass mich ein neuer Kollege fragt, warum ich heute eigentlich die Hauspost noch nicht gebracht habe. Negativ formuliert, findet eine Proletarisierung des so genannten Outfits statt. Positiv gewendet, handelt es sich um eine Art Abwehrzauber gegen allerlei gesellschaftliche Zumutungen wie Krawatten, Bügelfalten und Herrenfrisuren. Das Rad ist somit ein schöner Gegenentwurf zum allpräsenten Gehaltsklassen-Exhibitionismus. Und die Kreditkarte passt ja in jede Hosentasche.
Accessoires
oder:
Von nötigem und unnötigem Drumherum
Früher, als ich noch keinen Sport trieb und auch irgendwie sonst noch bei Trost, jedenfalls jünger war, machte ich mich oft lustig über Leute, die mit Radlerhosen, die Bäuche von knallengen, kunterbunten Trikots umspannt, in Biergärten auftauchten. Einmal ergrimmte ich eine sehr sportliche Beinahe-Bekannte mit diesbezüglicher Lästerei dermaßen,
Weitere Kostenlose Bücher