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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Klonovsky
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dass der gemeinsame Abend im Sinne des
carpe noctem
gelaufen war. Heute weiß ich es schon sehr zu schätzen, dass zwischen meinem Sitzfleisch und dem Sattel ein so fragiles wie stabiles und vermutlich als ein Nebenprodukt der Raumforschung entstammendes Polster klaglos seinen Dienst verrichtet. So bescheuert Radlerhosen aussehen, sie gehören zu den sinnvollsten Kleidungsstücken, die ich kenne, nicht nur verglichen mit Federboas. Ein weiteres kleines Wunder der Textilherstellung sind die leider meist grauenhaft bedruckten Radfahrtrikots. Sie liegen wunderbar eng am Körper (ich frage mich, warum Fußballer nicht solche Leibchen tragen, das Delikt des Am-Jersey-Festgehaltenwerdens wäre damit auf einen Schlag ausgeräumt), und trotzdem kleben sie mitnichten an selbigem fest, weil die Fasern so beschaffen sind, dass sie die Feuchtigkeit sofort nach außen leiten. Obwohl man im Litermaßstab transpiriert, wird man trotzdem nicht nass. Nur gewisse Salzrückstände verweisen auf das Flüssigkeitsquantum, das durch diesen Filter ging. Viel wichtiger als Farbe und Design sind die drei Taschen am Rücken desTrikots. Wer sich für viele Stunden aus der Stadt davonstiehlt, muss einiges mitnehmen: Ersatzschlauch samt Wechselwerkzeug, Ersatzbrille, zu essen (Energieriegel, Bananen), Sonnencreme, Handy (nur für den Ernstfall), Geld, Regenjacke, gegebenenfalls eine Karte. Ferner die Handschuhe, sonst schlafen die Finger ein. Hin und wieder binde ich den Pulsmesser um die Brust, aber eigentlich kenne ich meinen Herzrhythmus auch so. Ich fahre mit Helm, denn da ist mein Gehirn drin. Es ist jedes Mal ein mindestens zehnminütiges Prozedere samt Eincremen und Brilleputzen, ein Wappnen sozusagen (ein Eishockeytorwart kann darüber nur lachen, ich weiß), und jedes Mal bin ich ein kleines bisschen aufgeregt oder besser vorfreudig erregt, dass es jetzt wieder hinausgeht – was auch mit meiner schon erwähnten Orientierungsschwäche zusammenhängt. Ein Navigationslegastheniker wie ich genießt den Vorteil, dass ihm selbst eine häufig gefahrene Strecke immer Neues zu bieten hat. Wie oft bin ich etwa schon um den Starnberger See gefahren, und dennoch tauchen immer wieder überraschend neue Ortschaften, Kurven und Hügel auf, die ich noch nie gesehen habe (hier hat die Pointe über die Tatsachen gesiegt, aber ein Körnchen Wahrheit ist dran). Der Nachteil besteht darin, dass ich mich dauernd verfahre, oft auf Straßen mit hoher Autodichte gerate und noch öfter nicht weiß, wo ich bin. Aber das ist der Vorteil, wenn man in einer größeren Stadt wohnt: Zurück findet man immer.
    Was soeben despektierlich über die schrillen Outfits des radelnden Volkes geäußert wurde, will lediglich andeuten, dass der Autor die dezentere Version bevorzugt. Es ist ja albern, wenn man wie ein Profi oder Papagei daherkommt und dann überholt wird. Ich besitze noch von meiner 1998er Schnuppertour jenes Original-Trikot, in welchem ich denhiermit endlich zur Legende erhobenen Col de Rousset bezwang, aber ich habe es seitdem nie wieder getragen. Vielleicht bin ich ja bekloppt, aber ich denke mir immer, wenn ich es trüge, würde der eine oder andere Crack vorbeiziehen und mir durch Seitenblicke mitteilen: Zieh’ das Teil doch besser erst an, wenn du 50 Watt mehr trittst. Ausnahmeregeln gelten natürlich für die alten Löwen der Landstraßen, deren körpermittige Kolossalkuller getrost ein U.S. -Postal-Shirt blähen darf, das ist dann irgendwie wieder okay.
    In Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien, wo Radfahren Nationalsport und sowieso alles südsonnig-bunter ist, wirken Trikots von Profi-Teams an den Leibern von Allerweltsfahrern merkwürdigerweise weniger aufgesetzt. Überhaupt ist im Süden die Stimmung auf den Straßen entspannter. Radfahrer gelten nicht als Verkehrshindernisse, sondern als Menschen, die letztlich das Richtigere tun. Hierzulande erlebt man schon mal Figuren hinter dem Lenkrad, die so böse schauen und so dicht vorbeifahren, als wollten sie einen am liebsten über den Haufen karren. In Italien würden sie einen höchstens aus Begeisterung versehentlich überfahren. Wildfremde Leute feuern einen an, sobald es bergauf geht.
    Es wäre sicher falsch, das Fahrgerät selbst dem Drumherum zuzuschlagen. Am Rad hat das Drumherum allerdings seinen großen Auftritt. Das berühmte »Material«. Um es vorauszuschicken: Ich habe davon keine Ahnung. Die drei, vier Freaks, mit denen ich während der Fahrt ausnahmsweise mal ins Gespräch kam,

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