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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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bildete keine Wörter, sondern ahmte sie lautmalerisch nach. Ich wiederholte die Geräusche, die ich hörte. » … Og os to? Hvad meg os to? …«
    Unterwegs nach Hause. Es war Ende August. Ich rauchte eine Zigarette und konzentrierte mich durch Augenschlitze auf die Autobahn – ich hatte ja meine Kontaktlinsen verloren. Alles war verschwommen, die Autos bloße Farbstriche. Glücklicherweise musste ich einfach immer nur weiter fahren, bis wir ankamen. Eine gerade Straße führte nach Hause. Ich brauchte nicht viel zu sehen, brauchte nicht zu wissen, wo wir uns befanden.
    Verschwommene Bewegungen, vage Eindrücke, alles unscharf. Und doch fühlte ich mich konzentriert. Ich blickte kurz auf den schnarchenden Grégoire. Mein Blick war sanft. Ich würde ihn zurückbringen, würde uns nach Hause zurückbringen. So sicher wie ich konnte.

Marrakesch
     
    Wir landeten an einem Donnerstagmorgen in Marrakesch. Paris war in frostiger Wintertrauer verschleiert gewesen; die Wolken hatten sich aber über Gibraltar gelockert und ganz aufgelöst, als der Atlas in Sicht gekommen war. Wir stiegen aus dem Flugzeug. Scharfe, kristallklare und duftige Luft begrüßte uns auf dem Rollfeld. Der Himmel schien höher, die Existenz transparenter, der Puls des Lebens unmittelbarer. Des Winters Morgenlicht war hell, durchdringend, blendete uns mit unverborgenen Wahrheiten.
    Die Einreiseformalitäten verdarben fast wieder alles, so langwierig und nervend waren sie. Aber schließlich durften wir den klimatisierten Terminal verlassen. Wir waren erstaunt und verwirrt von den Gerüchen. Überwältigende, würzige und exotische Düfte kitzelten unsere Nase. Es war kein präziser Geruch, mehr eine leichte, vielversprechende Märchenmischung. Parfümpartikel, die an Rosen und Jasmin und Kümmel und Paprika, Pfeffer und Safran und Koriander und Senfkörner, Zimt und Minze, Henna und Moschus und Orangenblüten und schwere Autoabgase erinnerten.
    Ein Bus holte uns ab und brachte uns zum Hotel. Marrakesch hing wie ein Traum in der Luft, wie eine lange, gewundene, steinige Geschichte, die ein bärtiger, weiser Morgenlandbarde sang. Wir fuhren durch ein Straßenlabyrinth, roter Sand lag überall. Palmen wuchsen um uns herum. Die alten Stadtmauern, rot und majestätisch, stiegen scheinbar direkt aus der trockenen Erde auf. Strenge Moscheen klopften am blauen Himmel an. Ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben wie ein richtiger Fremder. Ein Eindringling, der keine Ahnung von der Kultur hatte, die er zu erschließen versuchte.
    Der Verkehr war undiszipliniert, ein Kampf um Überleben und Vorfahrt. Brandneue Limousinen waren selten, die meisten Autos waren zehn, zwanzig Jahre alt, verkrustet und verbeult. Männer in dunklen Djellabas lenkten alt aussehende, langsame Mopeds, mehrere Stapel von Kartons mit weißen Eier wackelten in ihrem Rücken; Frauen in glänzenden Schleiern fuhren Fahrrad; zerknitterte, sonnengebrannte alte Männer schoben Karren mit Datteln oder Heu oder Lumpen oder Schrott; andere Karren wurden von Eseln gezogen; wir überholten sogar einen schnurrbärtigen Polizisten in Uniform auf einem schwarzen Pferd.
    In der Ferne und doch so nah, dass ich dachte, ich könnte sie berühren, wenn ich nur meine Hand ausstreckte: schneebedeckte Berge, die auf einer Wolke von Luftverschmutzung und Morgendunst schwammen. Selbst durch die dicken, getönten Scheiben des Busses hörten wir Autos hupen, Bremsen quietschen, orientalische Musik.

Die Souks
     
    Ein Labyrinth aus engen, überfüllten Gassen. Die Pflastersteine abgenutzt und glatt und glänzend. Über unseren Köpfen brüchige Dächer voller Löcher. Sie waren meist aus altersschwarzen Holzplanken. An manchen Stellen sahen wir sonnengebleichte Tücher, die man über die Marktgassen gestreckt hatte. Um uns herum drängten sich Touristen und Einheimische durcheinander. Frauen in seidenen Schleiern und langen, seidenen Takshitas. Männer in Djellabas mit Fezhüten auf dem Kopf. Junge Burschen trugen silberne Tabletts mit Teekannen und kleinen Teegläsern. Alte Männer zogen Schubkarren. Jugendliche auf Fahrrädern mussten immer wieder stehen bleiben. Unsere Sinne waren beinahe überfordert: Gerüche von Gewürzen und natürlichen Essenzen und Leder und Stoff und Pfefferminze und Färbemittel, Tücher und Schmuck und Holzskulpturen und Metalllaternen und Djellabas und Gandouras, Hocker und handgewebte Teppiche. Ein Farbenchaos, ein Parfümkaleidoskop, und überall Leute und Verkäufer, die den

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