Kleine Portionen
dem Rasen, machten uns beim Windsurfen zum Narren, brachten dem Hund das Schwimmen bei, grillten. Ein lustiges Foto zeigt uns vor der Hütte, wir sitzen um den Holztisch, jeder trägt einen Pullover und hat ein Badetuch um den Kopf gewickelt, weil uns unzählige Gelsen angriffen.
Wir fuhren weiter nach Osten zum Neusiedler See, einem flachen, riesigen See an der ungarischen Grenze. Ich erinnere mich, wie ich in einem trockenen Schilfwald stand, das Wasser glitzerte vor mir, während ich einen weiteren Schwarm Gelsen abwehrte. Ich verlor in dieser Schlacht meine Kontaktlinsen.
Wir landeten am Abend in einem Heurigen, einer für Ostösterreich typischen Weinsschenke. Der Winzer verkauft den Wein des letzten Jahres sowie eine begrenzte Auswahl an Speisen. Ein Heuriger hat nur einen bestimmten Zeitraum über offen. Man erkennt, dass ein Heuriger geöffnet ist, wenn Fichten- oder Tannenzweige über der Eingangstür hängen.
Neben uns saßen acht oder neun Amerikaner, die schon mehr als genug Wein intus hatten. Das war ein Geschrei und eine Prahlerei und ein Herumtrompeten! Dann bestellten sie eine Flasche Rotwein, eine Flasche Weißwein, und begannen, beides in ihren Gläsern zu mischen. Ich hörte einen von ihnen laut zu seinem Nachbarn sagen: »Siehst du, so wird Rosé-Wein gemacht!«
Unterwegs nach Hause
Der Kofferraum war voll mit meinen Büchern. Über hundert Bücher, vielleicht auch mehr. Deutsche, englische, amerikanische, französische, spanische Romane und Essays und Wörterbücher und Grammatikbücher. Ich hatte auch mein Gewand eingepackt, meine Fantasiehemden, meine Schuhe. Ich hatte meine Kassetten mitgenommen. Ich hatte meine alten Langspielplatten daraufgestapelt, mindestens 50 von ihnen, von Jethro Tull über Philip Glass bis zu meiner The Cure-Sammlung und Morrissey. Meine CDs waren auch dabei: die Mahler-Symphonien, Björk, Mercedes Sosa, Jan Garbarek und das Hilliard Ensemble, Sade und all die anderen.
Der Kofferraum war randvoll.
»Un premier amour – premier amour – premier amour – ne s’oublie jamais«, sang ich lauthals und stierte aus kurzsichtigen Augen auf den spärlichen Morgenverkehr. Wir waren auf der A1 Richtung Salzburg und deutsche Grenze unterwegs. Grégoire schlief an meiner Seite. Meine Hände krampften sich um das Lenkrad.
Ich saß am Steuer, weil Grégoire müde gewesen war. Ich brachte uns nach Hause. Die Sonne war am dunklen Horizont noch fast unsichtbar, die Autobahn ein breites, glattes und schwarzes Band, das weiter und weiter floss, scheinbar ohne Ende. Dunkle Bäume sausten geräuschlos vorbei, und in der Ferne Berge, Häuser, Gebäude, Tankstellen, Hügel. Ich fuhr mit 120 km/h, überholte manchmal langsamere Lastwagen, wurde manchmal von schnelleren BMWs und Porsches und Mercedes überholt.
Ich hatte eine meiner alten Kassetten eingelegt, weil ich etwas brauchte, das meine Nervosität und Angst vertuschte. Ich war wirklich sehr unsicher, was meine Fahrtüchtigkeit anbelangte. Die Kassette enthielt meine Sammlung von Eurovisions Song Contest Gewinnern. » … Et toi – toi que j’ai aimé …«, sang ich gemeinsam mit Isabelle Aubret, der luxemburgischen Gewinnerin des Jahres 1962, einem jungen Mädchen mit einer sanften, traurigen und unschuldigen Stimme. Meine Gesang hinderte Grégoire an meiner Seite überhaupt nicht daran, fest und tief zu schlafen. Lara, der schwarze Pudel, saß würdevoll auf dem Rücksitz, die Vorderpfoten übereinander gelegt, den Kopf zur Seite geneigt, während sie mich fragend anschaute, mich, den lauten und durchgedrehten Fahrer.
Ich brachte uns nach Hause. Ein warmes Gefühl kroch in mir hoch, als ein neues Lied begann. Grethe und Jørgen Ingmann aus Dänemark. 1963. Nach Hause … Nachdem ich Etienne verlassen hatte, hatte ich eine Zeit lang gezögert. Meine Mutter hatte mich gedrängt, wieder nach Österreich zu kommen. Trotz ihrer Beharrlichkeit hatte ich beschlossen, in Paris zu bleiben. »Ich bin wegen Etienne nach Frankreich zurückgegangen«, hatte ich ihr am Telefon gesagt. »Ich will nicht wegen ihm wieder weggehen.« Hartnäckig, stur, ganz ich selbst. Entscheidungen kommen meistens aus den Eingeweiden. Diese Entscheidung auf jeden Fall, ja. Eine »Jetzt mehr denn je«-Entscheidung.
»Dugvåd ligger engen – Jomfru Daggry går til ro – Dagen står Puk-kåd ud af sengen – Og går over solens bro …«, sang ich. Ich konnte kein Dänisch, nicht einmal ein Wort. Dennoch konnte ich das Lied auswendig. Mein Mund
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