Kleine Portionen
magischen Anstrich verleiht, wenn Sonnenstrahlen die reinweiße Oberfläche zum Glänzen bringen und die nackten Bäume ihre dunklen Zweige in einen hellblauen Himmel emporstrecken, und die Tannen und Fichten und Kiefern die scheinbar einzigen grünen Flecken im ganzen Universum sind. Sie können fast schon die brennenden Scheite riechen, die durch Schornsteine harzigen Rauch bis zu Ihrem einsamen Obdach senden. Sie fühlen, wie gemütlich und warm das alte Gebäude in dieser Schneewüste wirken muss.
Sie erraten auch und schaudern vielleicht dabei, wie der uralte Erdzauber die Natur im Frühling erwecken muss und alles um Sie herum vor zitternder Lebenskraft und Säften und ungeduldigem Wachstum explodieren lässt. Sie können vielleicht sogar jetzt schon eine Spur dieses Neuanfangs erfühlen, während Ihre Augen geschlossen sind und Ihr Geist herumwandert.
Das ist der Zauber dieser Gegend, das sind die Wunder dieses versteckten Ortes. Er liegt oberhalb des Dorfes, hoch über der Ebene, in der Nähe der Berge, die mich heranwachsen sehen haben.
Unterwegs
Lange, gewundene, staubige Straßen unter einem grausamen Sonnenball, der von einem hochblauen Himmel herunterblendete. Kleine, halb verschlafene Dörfer. Weißhaarige Frauen in Schwarz mit Weidenkörben unterm Arm, die müde zu improvisiert aussehenden Marktständen schlurften, auf denen Tomaten, grüne Paprika, und Zwiebel, Auberginen, Zucchini lagen. Kleine, unrasierte, alte Männer, die langsam Fahrräder auf die Felder schoben. Junge Frauen, die vor niedrigen, schattigen Cafés Frappés schlürften. Die roten Ziegelkuppeln der orthodoxen Kirchen und Kapellen. Grüne Felder und grau-grüne Olivenbäumen und versteckte Bäche und bis zum Horizont raue, zerklüftete Berge in felsengrau und trockenbraunen Farben. Neben der Fahrbahn altarähnliche, winzige Häuschen auf Pfählen zum Andenken an Unfallopfer, die dort, wo die Altäre standen, gestorben waren.
Zuerst fuhren wir die Alte Athen-Lamia Nationalstraße entlang. Jean-Arnaud erzählte von Griechenland, rauchte zahllose Zigaretten, die ihm ein gehorsamer Grégoire anzündete, und beschimpfte immer wieder unqualifizierte Fahrer. »Schau dir bitte diesen alten Trottel an!«, brüllte er, »hat seinen Führerschein in den 30er Jahren gemacht und seither vergessen, wie man Auto fährt! Verpiss dich! Schalt einen Gang höher, du Knacker! Hat dir niemand gesagt, dass moderne Fahrzeuge mehr als 30 km/h draufhaben?« Oder ein anderer Fahrer überholte uns, und er kreischte: »Du Bergbauer! Bist nicht allein auf der Straße! Noch grün hinter den Ohren, und fährt einen Mercedes, als ob‘s ein Traktor wäre!« Oder er gab uns einen Kurs in griechischer Heimatkunde: »Seht ihr das ‚Stop’-Zeichen? Nie verstanden, warum sie so was in diesem Land überhaupt aufstellen. Sie sind wirklich unnütz. Dekoration, vielleicht … Für die meisten Griechen sind das bloß riesige Lutscher, das ist alles.«
Während der ganzen Zeit tröpfelte seichte, griechische Pop-Musik aus dem Radio, und von Zeit zu Zeit überschüttete uns eine aufgeregte Frauenstimme mit einem schnellen Strom griechischer Wörter. Wir machten in der Nähe von Amfiklia Halt, um Kaffee zu trinken. Blendendes, weißes Licht, eine staubige Straße, müde Kellner und eine gelangweilte Atmosphäre begrü ß ten uns. Grégoire eilte aufs Klo, um zu pinkeln. Jean-Arnaud und ich begafften einen jungen, orthodoxen Geistlichen, der sich mit seinem Vater an einem der Nebentische ein Gläschen gönnte. Er trug die typische lange, schwarze Soutane, hatte den langen Bart und die langen, im Nacken zu einem kleinen Dutt zusammengedrehten Haare, welche einen griechischen Priester erkennbar machten, und er trug den hohen, schwarzen Priesterhut auf dem Kopf. Von Zeit zu Zeit sah er mich fragend an, mit etwas mehr als nur höflicher Verwirrung, wie ich fand. Er sah, das fand ich auch, alles in allem sehr gut und sehr flachlegbar aus. War es die Soutane, die mich antörnte?
»Die meisten von ihnen heiraten«, unterbrach Jean-Arnaud meine Gedanken, die weder für den Druck noch für jegliche andere Art von Geständnis geeignet waren. »Aber Gott weiß, wie viele von ihnen heimlich schwul sind. Der da –«, er wies mit einer diskreten Kopfbewegung auf das Objekt unserer Begierde hin »– isses höchstwahrscheinlich. Schau nur, bitte, wie der uns anstarrt!«
Wir kicherten wie Schuljungen.
Die Reise ging weiter. Bei Palaiochori zweigten wir in die Patron-Lamias
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