Kleine Portionen
bestimmte Gassen zu betreten, weil so viele Leute herumstanden. Überfüllte Bars, Schwule überschwemmten die Stadt, plapperten auf Deutsch und Englisch. Dafür war ich sicher nicht hierher gekommen. Das war absolut nicht, was ich hören wollte. Ich fühlte mich betrogen.
Grégoire und ich landeten auf dem dunklen Betonpier, rauchten und starrten auf den Platz vor den öffentlichen Toiletten. Schwarze Silhouetten kreuzten davor, schossen einander verräterische, hungrige Blicke zu, verschwanden entweder in den Toiletten oder in einer dunklen Ecke in der Nähe des Meeres, Hand in Hand, sobald sie jemand Bumswilligen gefunden hatten.
Ich fand dieses Treiben halb pathetisch, halb bedrohlich, halb spannend. Das macht drei Hälften, aber irgendwie verschwinden mathematische Kenntnisse, wenn das Tier in einem wach gekitzelt ist. Der unbeleuchtete Bereich um die öffentlichen Toiletten und die Gässchen am Meer bedeuteten völlige Hingabe an dieses Tier, das waren die Jagdreviere für unverhohlene Manneslust. Wenn wir durch die dunkle Masse gingen, hörten wir Grunzen und Stöhnen der Begierde; Hände versuchten, uns zu packen, Fingern strichen über unsere Hintern, grapschten nach unseren Brustkörben, wagten sich in unseren Schritt vor. Blicke verfolgten uns, weiße Punkte, die wie Werwolfsaugen im saftlosen Mondlicht aufstrahlten. Muskeln schimmerten, Schatten drehten sich um, wenn wir vorbeigingen, und flüsterten uns ein heiseres »Come On!« ins Ohr.
Ich hab mich nie wirklich mit dem Tier in mir anfreunden können. Ich war noch nie in der Lage, mich vollständig aufzugeben. Ist das der Grund, warum ich mir an diesem fremden Ort so ungeschützt vorkam? Oder fürchtete ich, Grégoire hätte Lust, den vielfältigen Versuchungen um uns herum zu erliegen? Wir alle hüten geheime Gärten, über die wir nie reden. Wir wissen nie alles über jemand anderen. Oder hatte ich Angst, dass ich tief in mir nur eines ersehnte, nämlich selbst dem Tier in mir zu erliegen? Könnte meine Gelassenheit in sich zusammenbrechen, nur weil ich hier die Chance hätte, ungeplant mit einem geilen Fremden herumzubumsen, in den rabendunklen Gassen einer Insel in einem fremden Land, während die Wellen gegen die Steine schlagen und die laue Mittelmeerluft über meine heiße Haut streichelt?
Wie auch immer. Ich seufzte erleichtert auf, als der nächste Morgen auf der Insel anbrach.
Nafplion
Nafplion erstreckte sich über die robusten, kahlen Hügel einer Halbinsel am Nordende des Argolischen Golfs. Die Stadt war in einer Bucht gebaut worden, in deren Mitte eine Insel mit der alten Steinburg von Bourtzi lag; diese Burg sah genauso aus, wie man sich die Gefängnisfestung vorstellte, in der Dumas’ Graf von Monte-Christo eingesperrt war. Die ganze Stadt mit ihren venezianischen Häusern, engen Gassen, steinernen Molen, ihren Gebäuden auf den felsigen Hügeln strömte eine veraltete, ruhige Anziehungskraft aus, den Glanz einer längst vergangenen Epoche.
Wir hatten Zimmer in einem kleinen Hotel oben auf den Hügeln gebucht. Es stand in der Mitte halbtrockener Pinien und üppiger Bougainvilleen. Von der Terrasse, wo wir unser Frühstück einnahmen, fiel die Klippe fünfzig Meter zur nächsten Ebene hinunter. Der Blick über die roten Dächer und die Bucht und die Burg war atemberaubend. Das Zwitschern der Vögel, die lauten Zirpwellen der Zikaden unter dem tadellosen Himmel begleiteten uns durch die heißen Stunden des Tages.
Gleich hinter dem Hügel, etwa eine Viertelstunde zu Fuß entfernt, lag der Strand. Ein kleiner Streifen, mit Kieselsteinen bedeckt, von Hügeln und Pinienwäldern umgeben, mit einem Café, wo wir Erfrischungen und Speisen kaufen konnten. Deutlich erinnere ich mich an seine schattige Bambuskonstruktion und seine zwei riesigen, hölzernen Vogelkäfige mit dem rot-grünen Papagei und mehreren wildfarbigen Kanarienvögeln, die den ganzen Tag über in ihrer melodischen Vogelsprache miteinander tschilpten.
Während Grégoire meist schwamm oder ganz allein am Strand lag, um braun zu werden, saß ich mit Jean-Arnaud an einem Tisch und fühlte mich ein wenig wie die bezahlte Gesellschaftsdame einer Yorkshire-Herzogin des 19. Jahrhunderts in irgend so einem vornehmen Badeort an der französischen Riviera. Es gefiel mir aber ganz gut. Es machte Spaß, sich mit Bier und feinem, altem Cognac angenehm anzutrinken, während man schöne Männer beobachtete. Mit Jean-Arnaud meckerten und klatschten wir und flüsterten uns
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