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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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für Millisekunden in den übers Gelände blitzenden Stroboskop-Strahlen erstarrten, eine Sonnenbrille saß auf seiner Nase, dann verschwand er wieder, und wir tanzten weiter, BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-tsk, die Menge jubelte, und noch ein Bier, ich rollte einen Joint, den wir im Tanzen gemeinsam rauchten, BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-tsk …

Der abhanden gekommene Fahrer
     
    Mehr als 2000 Techno-Liebhaber versammelten sich an jenem Abend auf dem Gelände in Etampes. Jemand Bestimmten zu finden nahm sich wie die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen aus. Es war drei Uhr morgens, die meisten Leute hatten getanzt und schwärmten nun durch die Gegend. Manche wollten sich was zum Trinken kaufen, manche sich bloß hinsetzen und einen Augenblick lang chillen, manche wollten sich eine Pille einwerfen, manche in der Dunkelheit mit der Person, die sie sich gerade aufgerissen hatten, herumfummeln, manche gingen sogar schon. Vor Ort herrschte brummendes, reges Treiben, mit Leuten überall, die tanzten, herumwankten, rauchten, redeten, gestikulierten, knutschten, Händchen hielten, lachten, high wurden, ihre Köpfe zum BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-BUMM!-tsk-tsk bewegten, das weiterhin aufdringlich durch die Nacht hallte.
    Grégoire und ich wanderten eine Zeitlang herum. Es gab Zelte, in denen lustige Hüte und Mützen verkauft wurden. Getränkebuden. Stände, wo man Früchte anbot. Schmuck. Poster. Seltsame Neonartikel, Armbänder und so. Ein Erste-Hilfe-Zelt. Ein »Free Tibet«-Zelt, vor dem eine Gruppe bärtiger Jungs und blonder Mädchen in pelzigen Kleidungsstücken im Schneidersitz saß, Bongs rauchte und über die Philosophie des Dalai Lama diskutierte. Hübsche Jungs, hübsche Mädchen, aber auch hässliche; Jugendliche und ältere Menschen, auffällige Kleidung und diskrete Outfits, dicke Jacken über nackten Brustkörben, Hunderte und Hunderte von Jungs und Mädels walzten über das ganze Gelände.
    Und kein Sylvain in Sicht.
    Am vier sagte Grégoire dann: »Gehen wir zum Auto zurück. Vielleicht sitzt Sylvain ja drin und schläft.«
    Ich stimmte zu, es ging mir schon auf die Nerven, hier blöd herumzusuchen und andauernd irgendwelchen halb betrunkenen, halb zugedröhnten Typen auszuweichen.
    Wir gingen schweigend durch die leeren Straßen. Wummer und Bass schallten dumpf durch die kalte Dunkelheit. Als wir das Auto erreichten, sahen wir, dass es leer war. Ich seufzte tief.
    »Warte«, sagte Grégoire nach einer Minute. »Es ist das gleiche Auto, das ich vor einigen Jahren gehabt habe; ich weiß da einen Trick. Es ist total einfach, den Kofferraum ohne die Schlüssel aufzubekommen.
    Ich war erschöpft, mir war kalt, mir war alles gleich.
    Grégoire stieß an verschiedenen Stellen gegen den Kofferraum. Und mit einem Klick ging er tatsächlich auf. Grégoire kroch hinein, kletterte zu den Vordersitzen und öffnete mir die Beifahrertür. Ich klaubte die Artikel auf, die wir Idioten im Auto gelassen hatten – den Wohnungsschlüssel und unsere Kreditkarten –, steckte sie ein, sank auf den Sitz.
    Wir übernachteten im Auto, zitternd und halbdösend, bis die ersten Sonnenstrahlen die ruhige, enge Straße überfluteten. Dann latschten wir zum Gelände zurück, wo die Rave stattgefunden hatte. Alles war jetzt leer, außer ein paar Leuten, die den Rasen säuberten und die Stände und Zelte abbauten.
    »Entschuldige«, quatschte ich einen drahtigen, blassen Mann mit langen, schmutzigen Dreadlocks an. »Gibt es hier irgendwo in der Nähe einen Bahnhof?«
    Der Mann musterte mich von oben bis unten, ich sah sicherlich wie ein schrecklicher Zombie aus, zumindest fühlte ich mich so. »Du musst aus der Gewerbezone raus«, sagte er schließlich. »Am Ausgang biegst du rechts ab, dann geradeaus bis ins Stadtzentrum von Etampes. Du hast kein Auto, Junge? Das ist nämlich schon ein langer Marsch.«
    »Das macht nichts, und vielen Dank«, antwortete ich.
    Und dann gingen wir los. Es dauerte mehr als eine Stunde, bis wir die RER-Station erreichten. Ich war jenseits von Wut, Müdigkeit, irgendeiner Emotion. Ich war ein stahlgesichtiger Automat.

Bouillon
     
    Ein neues Morgengrauen malt orange Wolken in den frühen Sonntagshimmel über den Ardennen. Ich rauche auf der Terrasse meine Frühstückszigarette. Eine schwache Sonne versucht, den tropfenden Himmel ein wenig zu trocknen.
    Wir haben drei faule Tage hier verbracht. Haben so gut wie nichts getan außer atmen und essen und Karten spielen und

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