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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moitzi
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gemeinsam Kreuzworträtsel lösen und uns ausruhen und den Scheiten im Ofen dabei zusehen, wie sie lodern und zu Asche verbrennen. Es wäre ohnehin schwierig gewesen, mehr zu tun. Weil es drei Tage lang nur geregnet hat. Aber heute Morgen scheint der Himmel ein bisschen aufzuklaren, und wenn ich meinen Hals verrenkte, könnte ich sicherlich sogar ein wenig wolkenloses Himmelblau sehen. Zumindest wünsche ich mir das.
    Eine Meise sitzt in den kahlen Zweigen eines kleinen Baumes im Hof. Ihre gelbe Brust schreit das Grau des aufsteigenden Tages an. Sie legt ihren winzigen Kopf zur Seite, schaut vorsichtig zu mir und dem Rauch her, den ich in die kalte Luft blase. Dann fliegt sie zum blauen Vogelhäuschen, wo Sebs Vater eine Spezialkugel aus Tierfett und Körnern aufgehängt hat. Sie pickt ein paar Körner heraus, dreht ihren kleinen Kopf wieder zu mir her, pickt noch ein paar Körner. Ich sehe ihr nach, wie sie mit ihnen wegfliegt. Die Rathausuhr schlägt einmal an, es ist Viertel nach irgendwas. Ich habe keine Uhr, aber ich denke, es muss Viertel nach acht sein.
    Fünfzehn Minuten später fahren wir ab. Der Himmel ist tief und immer noch ziemlich bedrohlich. Die meisten unteren Felder sind überflutet und stehen unter mindestens fünfzig Zentimeter Wasser. Auf den Hügeln liegt fette, durchnässte, tiefbraune Erde. Die Wälder sind teilweise nackt, teilweise flammen noch letzte, müde Blätter gelb und rot auf. Verwesendes Laub belegt die Straßen wie ein Teppich. Wenn das Auto drüberfährt, wirbeln sie kurz auf, bevor sie wieder auf den schwarzen Asphalt zurückflattern.
    Als wir in Bouillon ankommen, ist es neun Uhr. Zitternd steigen wir aus und strecken uns. Ein steifer Wind weht durch das Tal der Semois. Der Fluss scheint fast überzulaufen, wirkt schnell und gefährlich und geschwollen; ich sehe sogar mehrere Bäume flussabwärts treiben.
    Auf der anderen Seite, auf ihrem glänzenden, schwarzen Felsen, steht die Burg der Herren von Bouillon. Sie ist der stolze Schutz der Stadt, die sich an den Fluss und die steilen Hügel an beiden Ufern kuschelt. Die weißen Steine der Häuser erleuchten den mattgrauen Herbsttag. Nina bellt kräftig; das ist unser Zeichen, unseren morgendlichen Spaziergang durch die verschlafene, leere Stadt anzugehen.
    Um zehn trinken wir eine leckere heiße Schokolade in einem der Cafés. Dann kaufen wir Zigaretten und Schokolade. Amélie kauft ein flauschiges Plüschtier für ihren Enkel. Die Straßen füllen sich mit Touristen, meist Belgier aus der flämischen Region. Wir kaufen Blumen für Sebs Mutter, eine Kiste belgischen Biers für Sebs Vater.
    Gegen halb zwölf wird es Zeit, wieder aufzubrechen. Wir sind zum Mittagessen mit Sebs Eltern verabredet. Wildschwein mit Kartoffeln. Als wir über die Grenze fahren (bloß ein großes Schild kündigt an, dass wir wieder in Frankreich sind), beginnt es wieder zu regnen.

Dezember
     
    Der Winter beschließt, Paris voreilig zu besuchen. Die Temperaturen sinken auf eisige minus fünf Grad herab. Die Sonne verschwindet für eine Woche, als ob sie eine beschämende Sünde zu verbergen hätte. Ein rauer, unangenehmer Nordwind weht durch die graue Trostlosigkeit der Straßen. Die Leute sehen mürrisch und unruhig drein und tragen auffällig rote Nasen. Der einzige willkommene Anblick unter dem tristen und müden Himmel: es schneit.
    Ich schiebe die gelben Vorhänge vor dem Fenster zur Seite und betrachte den matten Nachmittag. Das spärliche Licht draußen fühlt sich an wie ein früher Sonnenuntergang. Glitzernde Schneeflocken drehen sich und wirbeln wie leichte, kristallene Daunen, fallen dann in erhabener Stille auf die glänzenden Pflastersteine unseres Hinterhofs. Ein Vorhang, der sich ständig bewegt, seine Form verändert, weiß vor einem dunklen, düsteren Hintergrund.
    Unsere Wohnung ist eine gemütliche und warme Oase. Die Nachttischlampe übergießt den Parkettboden mit fröhlich-gelbem Licht. Weihnachtsschmuck baumelt von ihren sieben Metallstäben. In der Ecke zwischen den beiden Regalen wirft das Ambi-Light wechselnde Farben an die Wände. Im Moment beenden Bing Crosby und David Bowie sanft ihre Version des »Drummer Boy« auf iTunes – »pa-rampampam-pam«.
    Ein Räucherstäbchen sendet seinen vielversprechenden, nostalgischen Duft durch den Raum: Nüsse und Schokolade und Orangen und Zimt und Weihnachtsbäume. Das Gemisch vermengt sich mit dem Geruch des Ananas-Kokos-Kuchens, den ich vor einigen Minuten aus dem Ofen genommen habe und

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