Kleine Portionen
der jetzt in der Küchenecke abkühlt.
Meine Hände wärmt die Tasse, die ich halte; ich trinke einen Schluck dampfenden Kaffees und schau auf den kindlichen Nikolaus auf dem blauen Porzellan. Es fühlt sich so gut an, zu Hause zu sein, diese süße Mischung von Duftstoffen zu inhalieren, mit den Zehen in einem Paar dicker Wintersocken herumzuwackeln.
Die ganze Zeit über nagt Nina geräuschvoll an einem großen, knochenähnlichen Hundekeks; von Zeit zu Zeit schaut sie von ihrem schattigen Eck vor der Tür zu uns herüber, als ob sie überprüfen wollte, dass wir immer noch da sind. Seb und ich tun im Moment nicht viel. Wir haben die Wohnung geputzt. Dann haben wir unsere Weihnachtsdekoration aufgehängt. Ich sitze auf dem Sofa und lese eine Biografie der Tudors. Seb liest auch, ein Buch über die Romanovs. Auf iTunes wandert Annie Lennox » …zu Fuß durch die verschneite Winterlandschaft …« (walking throught the winter wonderland …). Eine rundum zufriedene, vorweihnachtliche Ruhe liegt im Raum.
Der Schnee in Paris wird nicht liegen bleiben. In zwei Stunden wird er geschmolzen sein, alles wird so aussehen, als ob es überhaupt nie geschneit hätte. Aber mir ist das egal. Was in zwei Stunden passiert, spielt keine Rolle. Jetzt ist jetzt, und jetzt fühlt sich gut an. Ich kann immer noch von der Seite, die ich lese, aufblicken und nach draußen schauen und die ruhigen Himmelsboten anlächeln.
Schnee
Dicke, weiße, romantische Schneeflocken sind ohne Unterlass auf Paris und die Region Ile-de-France herabgefallen. Sie haben den Verkehr von der Straße verschwinden lassen. Der Schneesturm hat die strengen Konturen und Silhouetten und Formen des Stadtbildes in eine traumhafte Winterlandschaft verwandelt.
Am Abend zeigen sie im Fernsehen Chaos und Stau und Flughäfen mit Menschen, die auf stornierte Flüge stieren und ganz offensichtlich denken: »Was für ein beschissenes Land!«
Dann kommentiert ein resignierter Lkw-Fahrer aus Osteuropa: »Man glaubt ja gar nicht, dass das hier Frankreich ist! Ich stecke jetzt schon seit gut drei Stunden mit meinem LKW im Schnee fest. Und hab‘ noch kein einziges Schneeräumfahrzeug gesehen!«
Der düstere Innenminister behauptet während seiner Pressekonferenz: »Es gibt kein Problem in der Region Paris. Der Verkehr ist flüssig, die Situation normal. Schauen Sie, als ich den Polizeipräfekten gebeten habe, hierher ins Ministerium zu kommen, war er binnen weniger Minuten da. Nun gut, sein Büro liegt gleich ums Eck, aber man kann dennoch nicht sagen, dass die Situation problematisch sei.«
Sie befragen einen Touristen vor dem Eiffelturm. Er schnaubt: »In Québec merken wir gar nicht, dass es schneit, bevor wir nicht drei ß ig bis fünfunddrei ß ig Zentimeter haben. Hier reichen drei Zentimeter aus, um den Verkehr lahm zu legen und ein Mordschaos zu verursachen. Aber natürlich, in Frankreich seid ihr nicht passend ausgerüstet …«
Die Reporter legt noch eins drauf: »Ist es nicht zum Lachen, dass ein bisschen Schnee hier in Paris so viele Umstände macht?«
»Klar«, antwortet der Tourist mit einem schelmischen Funkeln in seinen Augen und kichert hörbar, »als es angefangen hat zu schneien, musste ich lächeln. Und seither lache ich stillschweigend vor mich hin!«
Während ich heute Morgen mit dem Hund spazieren gehe, lache ich auch still vor mich hin. Die Leute gleiten und rutschen eisige, verschneite Gehsteige hinunter, schauen verärgert drein, rudern mit den Armen, als ob sie abheben und in die Arbeit fliegen wollten. Nur die Kinder und mein Hund sind vor Aufregung und Freude außer sich. Nina springt, zerrt an der Leine, bellt einsame Schneeflocken an, die von nackten Ästen über unseren Köpfen abgeschüttelt werden. Mehr als einmal raunze ich: »Jetzt mach doch mal langsam, du dummer Hund!« Und sie sieht mich nur verächtlich an, beschnuppert meine Hose, springt dann wieder weg, bellt, und ihre Vorderpfoten versinken in einem Haufen Pulverschnee.
Die meisten Leute haben heute Morgen ihre Autos dort stehen lassen, wo sie sie gestern geparkt haben. Es gibt keine Busse, RER-Züge sind selten. Die U-Bahn ist somit zum Bersten voll. Ich bin eingekeilt zwischen einer fetten, keuchenden schwarzen Dame im gefälschten Pelz und mit einer handgestrickten, auffälligen rosa Haube, einer gelangweilt aussehenden Blondine, die ihren iPhone-Bildschirm auswendig lernt und es irgendwie geschafft hat, eine ganze Flasche Parfüm auf ihre Kleider zu entleeren, und
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