Kleine Portionen
und mir werden würde, wenn wir unsere Arbeitsplätze dank ihrer Intrigen verloren hatten.
Da wir alle für eine katholische Monatszeitschrift arbeiteten, da sie alle treue Diener der Kirche waren, Theologen und einer sogar Mönch, da sie eigentlich wie Christen leben und handeln sollten, hatte ich mir so etwas nicht erwartet.
Eine Jahreszeit, eine Landschaft, die die aktuelle Situation so gut widerspiegelten … Hier, in diesem Auto, das langsam durch die scheinbar feindliche Eifel rollte, blickte ich aus dem Fenster. Die nebelige, triste Landschaft draußen glich meiner eigenen, inneren Landschaft. Wir fuhren in ein gottverlassenes Kloster irgendwo zwischen diesen grauen, ununterscheidbaren leeren Hügeln und nackten Wäldern. Zu einem letzten Treffen mit einem Haufen von Heuchlern, die begierig darauf warteten, das letzte Kapitel meiner Karriere zu schreiben.
Kloster Einöd
Wir erreichten Kloster Einöd, tief in den Eifelwäldern. Es war früher Abend. Wir waren hierhergekommen, um unsere Kapitulation zu besiegeln. Meine Stimmung schwankte zwischen kaltem Unmut, Enttäuschung, Müdigkeit, Depression. Die Umgebung – schwarze, nebelverschleierte Wälder, regnerischer Himmel, lichtloser Nachmittag – unterstrich vor allem letzteres.
Während der Fahrt waren wir in einem kleinen Weiler stehen geblieben, um zu Abend zu essen. Die vergessene, halb verlassene Siedlung kauerte neben dem schwarzen Rinnsal eines Baches. Ein Gespensterdorf mit fünf oder sechs niedrigen, schäbigen Häusern sowie einer hässlichen Kapelle aus alten, verwitterten und bemoosten Steinen. Ein zweitklassiges Restaurant begrüßte uns in einer Aura düsterer Teilnahmslosigkeit. Zwei müde Kellnerinnen servierten geschmackloses, aber teures Essen. Wir aßen stillschweigend, trostlos, im fahlen Licht der Neonlampen und zu Aufzugsmusik.
Der Tag war im Begriff, sich im kalten Nieselregen zu ertränken, als die düstere Klostersilhouette im Nebel auftauchte. Die Straße war hier zu Ende. Das Gebäude ragte hoch und unheilbringend in den bleiernen Himmel. Eckig, massiv, bedrohlich, mit dicken Steinmauern, Zinnen, Türmen und gotischen Turmspitzen. Die wenigen Fenstern sahen aus wie die stumpf glitzernden Schlitze einer vielköpfigen Schlange. Wie hieß es noch gleich? Ich habe es vergessen, aber es hätte ganz gut Abtei Trostlos, Stift Selbstmord, Kloster Ödland sein können.
Mein Zimmer war geräumig und bequem und gut geheizt. Ein riesiges, schweres Bett aus geschnitztem, dunklem Holz mit einem blutroten Baldachin. Ein müder, hölzerner Schreibtisch, ein alter Stuhl, ein rustikaler Schrank, ein Parkett mit einem dicken, rot-schwarzen Teppich. Massive Eisenstangen vor dem kleinen Fenster. Eine in Leder gebundene Bibel in einer der Schubladen des Schreibtischs, und eine Broschüre, welche die Geschichte des Klosters aufrollte. Das hier, so erfuhr ich, war bis ins frühe 20. Jahrhundert eine Art Gefängnis für ungehorsame Mönche und unkeusche Priester gewesen. Später hatten der Abt und seine Mitarbeiter offenbar auch eine herausragende Rolle in deutschen Staatsangelegenheiten gespielt. Die Broschüre ging auf den Zeitraum nicht genau ein. Dennoch, der Ton und die häufige Verwendung von Stichworten wie »national«, »Volk« und »deutsche Werte« ließen nur unschwer erraten, dass es sich um die Periode 1933-1945 handeln musste. Man schien hier immer noch richtig stolz darauf zu sein. War das nicht genau das Richtige für die letzte Konfrontation zwischen meinen zukünftigen Ex-Kollegen, meiner zukünftigen Ex-Chefin und mir? Eine alter Klerikerknast, ein Nazinest. Das Bühnenbild war fertig.
Am nächsten Morgen. Ein Tag, den man kaum Tag nennen konnte – Regen und Novembernebel –, war herangedämmert. Die rebellischen Redakteure waren in der Zwischenzeit auch eingetroffen. Unser Geschäftsführer hatte uns angewiesen, ruhig und professionell zu bleiben. Dennoch trug unsere Harmonie nur einen dünnen und oberflächlichen Mantel, leichtes Make-up, mit dem ein junges Mädchen sein pickeliges Gesicht überschminkt hatte. Der Tagungsraum war überhitzt. Keine andere Spur von Wärme war zu spüren. Meine Chefin Christiane entpuppte sich als exzellente Schauspielerin, sie plapperte dahin, als ob nichts geschehen wäre, fragte mit falscher Freundlichkeit, wie’s allen so ging. Ich blieb die ganze Sitzung hindurch kühl und einsilbig.
Am Abend schlug Christiane ein gemeinsames Abendessen in einem renommierten Restaurant ein paar
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