Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
Brille, Hut tief ins Gesicht gezogen, Kopf gesenkt. Mit hochgeschlagenem Mantelkragen schlichen sie nachts in menschenleeren Straßen von einer Nische zur anderen. Heute fühlen sich Kundschafter auf den Partys der Reichen und Schönen zu Hause. Sie sind angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Ein Kundschafter kann für ein Unternehmen - einen Pharmariesen oder eine kleine Werft - wertvoller sein als ein Dutzend hochbegabte Konstrukteure. Entsprechend ist ihr Honorar. Und auch das Ansehen. Also, Edmund Friedanger, vergessen sie gestern und leben Sie heute! Könige haben jahrtausendelang gemordet und geraubt, damit sie Könige blieben, das wissen wir. Unsere Politiker heute töten ihre Gegner kaum noch, das sind dann nur noch Unfälle. Aber sie lügen und versprechen den Völkern dreist, was nicht mal mehr die Kundschaft von Wahrsagern, Geistheilern und Diätgurus glaubt. Sie sind korrupt, geldgierig und oft genug unfähig, ihre Ämter auszufüllen. Aber das ist kein erschreckender Mangel, sie brauchen ja nichts und niemanden zu leiten, diese Mühe nimmt ihnen die Wirtschaft ab, denn dort sitzen zum Glück die Fachleute.«
Julia beugte sich etwas vor und griff nach ihrem Glas. Sie nahm einen Schluck und fuhr fort: »So war das wenigstens bisher. Aber nun wird jede Woche mindestens einer dieser kriminellen Finanzjongleure entdeckt. Wen wundert es, wie dreist sie alle Bilanzen fälschen? Mich nicht! Firmen haben oft nur noch die Wahl, pleitezugehen oder ihre Aktionäre zu betrügen, die kleinen natürlich nur. Aber ...«
Das Leder der Sitzecke roch noch ganz frisch. Zusammen mit dem Duft des Holzes, der sich auch noch mit der Seeluft mischte, entstand eine ganz eigenartige Kombination. Julia fühlte sich ganz wohlig. Sie zog die Beine an und schmiegte sich tiefer in die Polster. Im Plauderton fuhr sie fort: »Um die Manager geht es eigentlich nicht. Die sind gar nicht auf die Idee gekommen, ihre eigenen Bilanzen zu fälschen. Manager sind zwar immer dabei, so viel wie möglich Geld zu verdienen, aber sie möchten nachts auch ruhig schlafen. Solchen Fälschungen kommen Banker und Rechtsanwälte ziemlich rasch auf die Spur - falls sie wollen. Merken Sie was, Edmund?«
Edmund merkte nichts. Julia lächelte. Dieser Unternehmer war ohne jede Arglist. Über kurz oder lang würde ein auch nur halbwegs raffinierter Geschäftsmann seine Werft mit einem haarsträubenden Versprechen kassieren.
»Die Banken haben ihnen dazu geraten. Aber die haben sich natürlich erkundigt, was sie zu erwarten haben, falls etwas schiefgeht. Und das konnten ihnen nur Rechtsanwälte sagen. Fliegt eine Fälschung auf, wird ein Manager der Firma als Schuldiger angeboten. Der Kleinste. Je nachdem, wie groß der Schaden ist, werden weitere Manageropfer dargebracht. Die Banken kommen meist glimpflich davon. Und die Anwälte, die sich das alles ausgedacht hatten, kommen überhaupt nicht in Verdacht.«
Edmund staunte. Er schüttelte langsam seinen Kopf. Es wurde Julia nicht so recht klar, was dieses Kopfschütteln zu bedeuten hatte.
»Mein Mann kennt sich da aus. Nein, er hat mir nichts gesagt. Über Geschäfte redet mein Mann nicht mit mir. Dazu bin ich viel zu dumm. Ich werfe ihm nicht vor, wie er sein Geld verdient. Die Verhältnisse sind nun mal so. Edmund, die Wirtschaft der ganzen Welt besteht nur noch aus Ganoven, aus ungeschickten zumeist, sonst würde man sie nicht so leicht erwischen, aber - keine Panik - sie sind dabei, nun endlich von der Mafia zu lernen, wie man große Unternehmen ohne lästige Buchführung lenkt, denn bei der Mafia klappt es seit langem bedeutend besser, Tendenz positiv. Nur die Schweizer scheinen noch einige ehrliche Politiker zu haben, aber auch sie holen erfreulich rasch auf. Und in diesem Sumpf, der uns alle umschließt, wollen Sie den Märtyrer spielen und der einzige anständige Unternehmer dieser Welt bleiben? Sie glauben an das Recht? An welches Recht? An wessen Recht? Mein eigener Ehemann mischt überall kräftig mit, wo es viel Geld zu verdienen gibt. Er redet zwar von Ehre und Gewissen, aber was er sich darunter vorstellt, ist mir längst kein Rätsel mehr. Als er den Prozess gegen Sie gewonnen hatte, kam er lachend nach Hause und sagte kopfschüttelnd, es sei ihm völlig unverständlich, aber er habe tatsächlich gewonnen. Er meinte, Gerichtsprozesse seien längst zu sportlichen Wettkämpfen zwischen Klägern und Verteidigern mutiert, bei denen unfähige Schiedsrichter pfiffen. Überall ist der Sport zum
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