Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
Geschäft verkommen, dafür hat sich der Gerichtssaal zum Stadion gemausert. Nicht mehr lange und in den Gerichtssälen werden Monitorwände aufgestellt, auf denen die Punkte von Staatsanwalt und Verteidiger wie beim Fußball angezeigt werden. Und nach jedem gewonnenen Punkt werden die Fans der jeweiligen Partei grölen und trommeln und ihre Pressluftsirenen anwerfen. Sie glauben mir nicht? Sie meinen, in wichtigen Fällen haben die Schöffen ein Wort mitzureden? Völlig richtig, sie urteilen gleichberechtigt und können den Richter überstimmen. Das kommt gelegentlich vor. Das ist gelebte Demokratie. Wie stolz sind wir auf unsere Demokratie! Aber das schriftliche Urteil fertigt der Richter ohne die Schöffen aus. Die kriegen es nicht einmal zu sehen. Und wenn der Richter sich ärgert, weil er von den Schöffen überstimmt worden ist, baut er in das Urteil einfach einen Formfehler ein, und dann wird es von der nächst höheren Instanz kassiert. So funktioniert ein Schöffengericht. Theater fürs dumme Volk.«
Friedanger brauchte eine ganze Weile, bis er die Rede verdaut hatte. Er wollte arbeiten wie sein Vater, ehrlich und gediegen, aber das ging einfach nicht mehr. Er hatte sich verschiedene Strategien ausgedacht, wie er seine Werft retten konnte, aber immer fehlte es an Geld. Es gab einfach keinen Weg, der nichts kostete.
»Sie wollen kein Geld von mir?«
»Keinen Cent.«
Jetzt hätte er aufatmen sollen, denn Geld war seine zweitgrößte Sorge gewesen, aber er sagte: »Dann darf ich Sie erst recht nicht um Hilfe bitten. Das ist alles zu gefährlich für Sie.«
Julia war viel zu praktisch veranlagt, als ihm auf diesem sentimentalen Wege zu folgen. Darum sagte sie: »Edmund, es geht nicht um Ehre und Gewissen, sondern um Ihre Werft und meine Rache. Geld interessiert mich nicht. Wenn Sie einen zinslosen Kredit brauchen, dann sagen Sie es mir, aber bitte ohne jeden Schnörkel.«
Friedanger nahm die Fahrt etwas zurück. Der Yanmar drehte nur noch im Leerlauf. Die Masten der kleinen Schiffe, die in seiner Werft lagen, waren deutlich auszumachen. Friedanger drehte nach Backbord ab; er wollte den Liegeplatz noch nicht gleich anlaufen.
»Warum tun Sie das?«
Julia sah ihn fragend an.
»Ich meine, warum begeben Sie sich mit dieser Informationsbeschaffung in so große Gefahr, statt sich Ihres Lebens zu freuen. Ihr Mann ist doch reich genug. Sie könnten ganz sorgenfrei leben. Wozu also?«
Julia trat aus dem Salon heraus, stützte die Hände auf die Reling und sah auf das Meer. Der Wind spielte mit ihrem Haar, ein paar neugierige Möwen umkreisten die ruhig gleitende Jacht. Edmund Friedanger lehnte sich neben ihr an die Reling. Er hatte beide Weingläser in den Händen, aber er wusste nicht mehr, welches Glas ihm gehörte. Julia verfolgte seine Versuche, sich zu erinnern, wie er die Gläser vom Tisch genommen hatte. Julia schmunzelte, streckte die Hand aus und lachte: »Nun geben Sie schon her, Edmund.«
»Warum ich das tue?«, fragte sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, »vielleicht genügt es mir nicht, meine mit einem dreifarbigen Powerball klargespülten Weingläser den ganzen Tag lang verzückt zu bewundern. Sollte ich die ganze Nacht mit Anti-Falten-Cremes im Bett liegen und jeden Morgen Meiermilch, angereichert mit probiotischem Unfug, trinken, weil sonst meine Haare brechen und ihren kraftvollen Glanz verlieren könnten? Oder müsste ich nicht gar über zweiflüglige Slipeinlagen nachdenken, damit ich mich endlich so richtig frei und glücklich fühlen darf? Einen Psychiater brauchte ich selbstverständlich auch, einen, der meine Händchen hält und seine streichelnden Energien in meine Seele strömen lässt. Soll ich das Geld meines Mannes ausgeben, um mir das Gesicht von Catherine Zeta Jones, die Beine von Elle Macpherson und den Hintern von Jennifer Lopez zurechtschneiden zu lassen?«
Julias anfangs nachdenkliche Antwort wurde zunehmend heiterer. Noch vor zwei, drei Jahren wäre sie zornig geworden, aber damals hätte sie das niemand gefragt. Gewöhnlich verhandelte sie rein geschäftlich. Kurz und prägnant sagten ihre Kunden, was sie wollten, und Julia nannte ihren Preis. Nichts wurde schriftlich fixiert. Wozu auch? Welchem Gremium hätte sie die Dokumente vorlegen können? Die illegalen Geschäfte waren die Einzigen, in denen noch die alten Begriffe von Treu und Glauben und von Ehre und Gewissen einen Sinn hatten. Betrüger wurden nicht wie im sogenannten legalen Handel angezeigt und
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