Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
darauf lief es offensichtlich hinaus, wenn sie ihr einen zinslosen Kredit, rückzahlbar nach Lust und Laune, eingeräumt hatte.
Sandra trat hinter sie und sah sich Julias Spiegelbild an. Sie griff in Julias Haare und formte neue Frisuren. Julia schüttelte immer wieder ihren Kopf. Aber schließlich wurden sie sich einig. Über die Farbe wurde nach Dr. Gettis 50. Geburtstag nicht mehr gesprochen. Seit der Amerikaner Julia frisiert hatte, durfte es nur Feria Color 60 Crystal Brown sein. Die Frisur, die sie während der Feier tragen musste, hatte ihr zwar nicht gefallen, aber die Farbe war richtig gut gewesen. Das gab auch Sandra zu.
»Du freust dich gar nicht. Was ist los mit dir?«, fragte Julia. Sandra hob die Schultern und ließ sie verzweifelt wieder fallen. Sie legte den Kopf auf die Seite und zog die Stirn kraus. In den Spiegel hinein sprach sie: »Du weißt warum.«
»Nein, das weiß ich nicht.«
Sandra arbeitete weiter und schob die Unterlippe vor.
»Schmolle nicht! Sag endlich, was los ist!«
»Warum tust du das alles für mich?«
»Sandra«, sagte Julia leise. Sie wusste selbstverständlich, worum es ging: »Vergiss doch die Kosten. Gettis Geld reicht für und beide. Aber du musst ihm nicht unbedingt dafür danken. Er hat dir diesen Salon geschenkt, er weiß es nur nicht.«
»Er weiß es nicht einmal?« Sandra hörte auf zu arbeiten und blickte mit erstaunten Augen in Julias Spiegelbild. Ihr Mund stand offenen. Sie hielt die Hände still und stand wie erstarrt. Nach einer Weile spielte ein Lächeln um ihren Mund. Sie schüttelte ihren Kopf und hielt ihn ungläubig schief: »Julia, du wirst mir langsam unheimlich.«
Aber so sehr unheimlich schien sie ihr noch nicht geworden zu sein, denn sie lächelte, als sie es sagte. Julia ging darauf nicht ein.
»Mache weiter!« forderte sie Sandra auf. »Und wenn du dir nichts schenken lassen möchtest, dann kannst du mich ja am Gewinn beteiligen, aber bitte nicht zu knapp! Oder Du zahlst mir das Darlehen zurück, wenn du zu viel verdient hast. Konzentriere dich jetzt auf deine Kundschaft. Du brauchst die Frauen von Politikern und Direktoren. Die in der Kanzlei meines Mannes ihr Geld lassen, die bei mir zu Hause verkehren, die musst du haben. Dazu musst du die besten Friseurinnen engagieren, aber nicht zu hübsche, du darfst die alten reichen Weiber nicht verschrecken, und dann muss du ordentliche Preise machen. Das hier muss die teuerste Adresse der Stadt werden. Zu meinem 30. Geburtstag, das ist gerade noch knapp ein Jahr hin, werden meine Gäste nicht mehr von diesem Amerikaner, sondern von dir frisiert werden. So. Und das ist nicht nur mein Wunsch, das ist ab sofort dein Ziel.«
Der Gedanke gefiel Sandra. Sie nickte. Aber wenn etwas schiefgehen sollte, wenn der Laden nicht so laufen würde wie geplant, dann säße sie auf einem Berg Schulden und Julia, ja, was würde Julia dann tun?
Julia dachte so weit gar nicht. Es konnte nichts schiefgehen, denn sie hatte den richtigen Standort für den Salon gefunden, eine ansprechende Ausstattung eingekauft und nun musste sie nur noch die passenden Meisterinnen einstellen.
Sandra war noch zu sehr Friseurin, zu wenig Geschäftsfrau. Und Julia hatte auch keine Ahnung vom Arbeitsmarkt dieser Branche, aber sie würde jemanden finden, der nun auch noch das passende Personal anwerben könnte. Mit Geld war das sicher ganz leicht zu machen.
Julia beunruhigte etwas ganz anderes. Bisher glaubte Sandra, Julia träfe sich gelegentlich mit ihrem Liebhaber, wenn sie sich ihr Auto auslieh, ihr Handy bei Sandra vergaß und eine Adresse angab, wo sie angeblich zu finden sein sollte, falls jemand sich nach ihr erkundigte. Das hatte bisher stets geklappt. Jedenfalls überreichte Sandra ihr den Wagenschlüssel immer mit einem auf die Wange gehauchten >Viel Glück!< Mit verständnisvollem Lächeln legte sie die lederne Schlüsseltasche in Julias Hand und strich ihr mit der Bürste noch einmal über den Nacken, um das letzte Haar zu entfernen, das dort vielleicht vergessen worden war.
Julia ließ sie bei ihrer Vermutung. Aber da sie ihr jetzt einen Salon in der teuersten Meile der Stadt geschenkt hatte, einfach so, musste Sandra etwas ganz anderes als nur einen Liebhaber hinter Julias Ausflügen vermuten. Die Wahrheit konnte sie ihr aber nicht sagen. Sandra wäre unfähig gewesen, ein solches Geheimnis für sich zu behalten. Sie war nicht schwatzhaft. Wenn es um Liebhaber, Schulden, kleine Lügen oder ähnliche läppische Späße ging,
Weitere Kostenlose Bücher