Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
endlich wollte Edmund wissen, was für Ärger Julia mit Großmann gehabt hatte.
»Das ist rasch erzählt«, antwortete sie. »Ich sollte ihm dringend benötigte Informationen beschaffen. Den Vorschuss, ohne den ich nie anfange zu recherchieren, hatte er in der vereinbarten Höhe pünktlich gezahlt. Aber nach Abschluss meiner Arbeit hat er mich verhöhnt, statt zu zahlen. Und dafür soll er jetzt büßen.«
Edmund überlegte lange, was er von dieser Beschaffung von Informationen halten sollte.
»Haben Sie für ihn Fachliteratur besorgt?«, fragte er vorsichtig, auch wenn er das nicht glauben konnte. So harmlos waren ihre Dienste sicher nicht gewesen. Um Fachliteratur zu beschaffen, musste niemand einen ... Er hoffte, sie würde nicht bestätigen, was er vermutete. Julia schüttelte den Kopf und sagte ganz frei und offen: »Ich habe ihm Material von anderen Werften zugespielt, Zeichnungen zum Beispiel, allerdings ohne jene anderen Werften zu fragen. Die haben es ganz bestimmt nicht bemerkt, sonst hätte Großmann & Sichel längst einige Verfahren am Halse. Aber zu meiner Arbeit gehört eben nicht nur die Beschaffung von Wissen an sich; ich muss das Material auch diskret liefern. Wie im Straßenverkehr: Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme. Das, Edmund, unterscheidet einen Kundschafter von einem Dieb. Nein, mit einem Dieb mache ich mich nicht gemein. Diebe, wenigstens kluge, gehen zwar auch vorsichtig vor, aber nachdem sie ihre Arbeit getan haben, ist das Diebesgut verschwunden. Wenn ich etwas beschafft habe, dann fehlt niemandem auch nur das kleinste Schnipselchen Papier. Kein Mensch bemerkt, was ich kopiert habe. Ich hinterlasse keine Lücke, keine Spur. Das ist der Unterschied.
»Aber das ist doch ...«, sagte er und unterbrach sich. Er wagte nicht, es auszusprechen. Julia kam ihm zu Hilfe: »Spionage meinen Sie? Ja, es fällt unter Wirtschaftskriminalität. Fast alles auf dieser Welt ist anders, als es aussieht. Überall wird spioniert. Erscheint zu den Meisterschaften im Eiskunstlauf eine Läuferin in Grün, tragen plötzlich alle Grün. Zufall? Warum gleichen alle Formel-1-Renner sich aufs Haar? Und glauben Sie, die Erfolgsquote bei der Aufklärung von Gewaltverbrechen wäre so hoch, wenn es den gläsernen Menschen, über den Politiker aller Schattierungen sich öffentlich so heftig entrüsten, nicht längst gäbe? Ohne Kundschafter kommt heute kaum noch ein Unternehmen aus, wenigstens kein erfolgreiches. Sie sind das beste Beispiel dafür. Ihre Werft bringen Sie entweder mit meiner Hilfe wieder auf die Beine, oder sie geht ohne mich kläglich und ziemlich sicher unter. Sie haben die Wahl, Herr Edmund Friedanger. Das heißt: Sie haben keine Wahl.«
Friedanger verließ den Salon und stellte sich ans Ruder. Das war unnötig, denn der Autopilot versah zuverlässig seinen Dienst. Friedanger musste nachdenken. Als er zu einem Entschluss gekommen war, kehrte er zurück in den Salon, setzte sich Julia gegenüber und begann: »Liebste Frau Getti, ich weiß Ihr Angebot sehr wohl zu schätzen, wirklich. Ich denke, wenn überhaupt jemand, dann können nur Sie meine Werft retten. Aber ich kann Ihr Angebot nicht annehmen, so gern ich es möchte. Es geht nicht.«
Julia hatte ihn bei seiner Rede aufmerksam beobachtet. Er hatte mit gesenktem Blick gesprochen, die Hände ineinander verkrampft, seine Stimme hatte vibriert. Sie schob ihm ihr leeres Weinglas hin, und er schenkte sofort nach. Die Flasche schwankte und zitterte. Friedanger wirkte ziemlich aufgelöst. Julia berücksichtigte das und sagte mit ruhiger Stimme: »Sie müssen mich nicht bezahlen, Edmund. Das wird Großmann & Sichel für Sie tun. Ich will dieser Firma beibringen, wie man branchenüblich Informationen bezahlt. Sie müssen nicht einmal mit mir zusammenarbeiten. Ich kann Sie völlig heraushalten aus dem Geschäft. Das Einzige, was Sie tun müssen, ist, Ihre Firma am Leben zu erhalten. Aber machen Sie mir bitte nicht meine Rache kaputt! So, damit hätten wir das Rationale geklärt.«
Julia drehte sich halb zur Seite, legte den Unterarm auf die Rückenlehne und stützte ihren Kopf in die Hand. Diese entspannte Haltung deutete auf den Beginn einer längeren Rede hin.
»Nun bezüglich Ihres Verhältnisses zu Immanuel Kants Sittengesetz: Sie leben in einer Welt, die es seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gibt. Was Ihre Mutter Spionage genannt hätte, heißt heute Informationsbeschaffung. Spione verkrochen sich noch. Man kennt das Klischee: Dunkle
Weitere Kostenlose Bücher