Kleine Schiffe
auf die Wange. »Also, erstens sind wir ja noch gar nicht sicher – und wenn es sicher ist, weiß ich noch nicht, ob ich es behalten will.«
Doch dann stellt Tina die Frage, vor der ich mich seit gestern Abend fürchte: »Wirst du es Andreas sagen?«
Dazu fällt mir vorerst nichts ein.
Auch zwei Tage später bin ich in dieser Frage nicht weiter. Nur dass ich schwanger bin, weiß ich jetzt genau.
»Na, da wird sich Ihr Mann aber freuen«, sagt mein Frauenarzt. Als ich nach der Untersuchung im Sprechzimmer Platz nehme, lächelt er mich strahlend über seine Brillengläser hinweg an. Dr.Fohringer hat unsere Bemühungen um Nachwuchs jahrelang begleitet, weshalb ich ihm auch umgehend reinen Wein einschenke. »Wir sind geschieden.«
Dr.Fohringers Miene verrät nur eine kurze Irritation. »Und der Vater des Kindes …«
»… ist mein Ex-Mann.« Ich lächele entschuldigend und schließe gleich eine Fachfrage an: »Können Sie mir sagen, warum das jetzt geklappt hat und nicht, als wir noch verheiratet waren?«
Dr.Fohringer blickt in meine Patientenkarte, als würde er dort die Antworten auf die großen Fragen dieser Welt finden. Dann legt er den Kopf auf die Seite. »Nein, das kann ich Ihnen nicht sagen, Frau Funk. Das ist wie ein Sechser im Lotto. Wussten Sie, dass man davon ausgeht, dass heute jede sechste Ehe ungewollt kinderlos ist?« Er blickt aus dem Fenster und sagt fast mehr zu sich selbst als zu mir: »Ich habe das mal ausgerechnet. Wenn die Zahl stimmt, heißt das, dass in Deutschland rund zwei Million Paare mit unerfülltem Kinderwunsch leben.« Er lächelt mich erneut an. »Denken Sie an den Lottosechser, Frau Funk. Heute haben Sie ihn gewonnen!« Dann scheint ihm meine veränderte Lebenssituation wieder einzufallen. Er blickt etwas verlegen drein und fragt: »Sie wollen das Kind doch bekommen?«
Ich seufze. »Kann ich diese Frage überhaupt noch stellen?«
Fohringer konsultiert abermals meine Karte. Dann nickt er. »Sie müssen sich nur schnell entscheiden. Sagen Sie mir doch Anfang nächster Woche Bescheid.«
Als ich am nächsten Tag von der Arbeit komme, steht mein Vater mit den Unvermeidlichen vor der Tür. Das heißt, eigentlich sitzen die drei auf meiner neuen Gartenbank – gemütlich hingefläzt in der Feierabendsonne.
Mein Herz sinkt, denn ich habe mich auf einen ruhigen Abend gefreut. Viel mehr noch: Ich brauche diesen Abend. Ich wollte nämlich endlich eine Pro-und-Kontra-Liste anlegen. Dieses Listenschreiben zur Entscheidungsfindung ist eine Technik, die mir mein Vater beigebracht hat. Ich gebe es ungern zu, aber manche seiner Tipps waren gut. Die Pro-undKontra-Listen schrieb ich schon als Kind, wenn es darum ging, sich gegen die Klavierstunden und für den Sportverein oder gegen den Urlaub mit Papa (Zelten an der Ostsee) und für die Reise mit den Pfadfindern (Zelten an der Ostsee) zu entscheiden.
»Schreib die jeweiligen Argumente auf und halte dann gegeneinander, was dafür und dagegen spricht«, empfahl mir Papa. Bis heute ist das ein Prinzip, mit dem ich mir häufig Klarheit verschaffe. Denn damals gab mir mein Vater einen Tipp, den ich erst sehr viel später schätzen lernte. Er schaute nachdenklich auf meine Liste zum Thema Ferien an der Ostsee und sagte: »Es kann gut sein, dass du viele Argumente gegen eine Sache gefunden hast und dich am Ende doch dafür entscheidest. Oder umgekehrt. Du musst lernen, auf deine innere Stimme zu hören, selbst wenn offensichtlich alles gegen eine bestimmte Entscheidung spricht.«
Deshalb bin ich mit den Pfadfindern an die Ostsee gefahren, obwohl ich mir wesentlich weniger Eiskugeln und Minigolfspiele leisten konnte, als ich bei einer Reise mit Papa bekommen hätte.
Ich habe also vor, mit einem Kopf voll lauter wirrer Ideen durch eine Pro-und-Kontra-Liste mehr Klarheit in meine Zukunft zu bringen. Doch natürlich kann ich Papa und die Unvermeidlichen nicht einfach fortschicken.
»Das ist ja schön! Wollt ihr mich besuchen?«, frage ich mit forcierter Fröhlichkeit, als ich die drei auf der Bank vor dem Gartenhaus erblicke.
»Nach was sieht’s denn aus?«, muffelt Papa mich an, und Helmut (oder Rudi) wirft meckernd ein: »Nee, wir sitzen hier nur so rum!«
Kaum habe ich aufgeschlossen, stromern die drei auch schon durchs Haus, als wären sie zahlende Gäste. Rudi und Helmut flegeln sich auf das Sofa, während Papa den Kühlschrank durchsucht, um mit der enttäuschenden Nachricht zurückzukehren: »Kein Bier da!«
Mühsam bewahre ich die
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