Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
Vom Netzwerk:
überreden, ist sie dann diesem Typen auf den Leim gegangen, den ich nach einer Meniskus-OP behandelt habe.« Sie verzieht das Gesicht, als habe sie eine Fischgräte zwischen den Backenzähnen. »Dieter Rödinger. Mitte vierzig, geschieden, mittleres Management, starker Kinderwunsch. Einer von denen, die ihr Kind am liebsten im selbstgebatikten Tuch vor sich hertragen.«
    »Klingt wie ein Volltreffer. Vor allem, weil doch heutzutage fast jeder fünfte Vater in die Babypause geht.« Als Tina mich stirnrunzelnd mustert, ergänze ich kleinlaut: »Habe ich jedenfalls in der Zeitung gelesen.«
    »Na, dann muss es ja stimmen!« Tina lässt sich nicht beirren. »Da regt mich ja schon die Formulierung auf: fast jeder fünfte Vater! Da hast du’s! Alle diese Zahlen, was Kinderbetreuung angeht, sind so verschwommen. Außerdem ist das alles Augenwischerei.«
    Sie grinst mich an. »Ich hab das auch gelesen. Tatsache ist, dass die meisten Väter nur diese zwei Vätermonate nehmen, wenn der Nachwuchs da ist. Und da geht es um Kohle – die verfällt nämlich sonst. Du siehst: Das ist nicht viel mehr als eine Geste. Ein Feigenblatt. Nach dem Motto: ›Seht her, was für ein toller Vater ich bin.‹ Nach diesen zwei Monaten traben die schnellstens wieder zurück zur Arbeit – und Mutti kann sich dann nicht einmal mehr über mangelndes Engagement beschweren.«
    »Aber ohne Geld geht es doch nicht.« Ich finde Tina zu zynisch. »Schließlich kämpfen hier junge Familien …«
    Sie prustet hämisch los: »Junge Familien? Der Typ, den sie als Vorzeigevater abgebildet hatten, war achtundvierzig Jahre!«
    »Na und? Hast du mir nicht kürzlich vorgehalten, dass das Leben mit über vierzig erst richtig losgeht?«
    Tina sackt genervt auf dem Sofa zusammen. »Ja, doch. Aber nicht so!«
    Wir schweigen für einen Moment. Es ist auch wirklich interessant, wie sehr sich die Bedingungen, unter denen Kinder in Deutschland auf die Welt kommen, geändert haben. Meine Mutter war mit siebenundzwanzig eine »späte Erstgebärende«, wie die Krankenschwestern sie ein wenig abfällig bezeichneten. Sie war derart betroffen, dass sie es noch Jahre später erzählt hat. Heute gelten Männer mit achtundvierzig als »junge Väter«. Andreas ist sechsundvierzig. Er sieht sehr gut aus, ist schlank, sportlich, leistungsfähig. Auch in zehn Jahren könnte noch jeder Junge mit ihm Fußball spielen, und jedes kleine Mädchen wäre stolz, sich von ihm auf der Schaukel anschubsen zu lassen. Andreas … Wie gern wären wir Eltern geworden! Wir hatten uns sogar schon Namen ausgedacht: Ein Junge sollte Lukas heißen, ein Mädchen Amélie. Früher habe ich diese Namen manchmal leise vor mich hin gesagt, aber irgendwann habe ich damit aufgehört. Jetzt murmele ich sie kaum hörbar vor mich hin, verstumme aber sofort, als ich Tinas Blick auf mir spüre.
    Tina schiebt mir auffordernd ihr Weinglas über den Tisch. »Bist du sauer?«
    Ich winke ab. »Nein, ich denke nur …«
    »Du denkst zu viel!«, sagt Tina und klatscht in die Hände. »Davon bekommst du nur schlechte Laune. Überhaupt wären bei dir ein bisschen mehr Pep und Gut-drauf-Sein angesagt. Du bist in den letzten Wochen geradezu verschrumpelt.« Sie fängt meinen gekränkten Blick auf. »Nein, nein, ich meine nicht, dass du faltig wie eine alte Handtasche aussiehst. Aber stimmungsmäßig, weißt du?«
    »Eine Scheidung ist ja auch nicht gerade ein Gute-Laune-Macher, oder?«
    Tina sieht mich liebevoll an. »Das ist mir klar.« Sie setzt sich neben mich und legt mir den Arm um die Schultern. »Aber ein Baby auch nicht.«
    »Du willst doch nur, dass ich nicht … vermuttere .«
    Tinas warmherziges Lächeln verschwindet wie auf Knopfdruck. »Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun.« Sie beugt sich wieder vor und sieht mich durchdringend an. »Verstehst du nicht, Franzi? Du wirst eine von ihnen werden. Du solidarisierst dich schon jetzt mit ihnen!«
    Ich verkneife mir, auf den fehlenden Mann in meinem Leben hinzuweisen. Auch würde ich wohl weiterarbeiten, und der Aufenthalt in Baby-Lounges würde sich in meinem Fall auf ein Minimum beschränken.
    Tina greift wieder zur Rotweinflasche. Wie sie da so sitzt, mit einer dicken Sorgenfalte auf der Stirn, erinnert sie mich an das Hündchen Susi aus dem Walt-Disney-Film »Susi und Strolch«, nachdem die anderen Hunde der kleinen Susi erklärt haben, wie das erwartete Baby ihrer Besitzer ihr Leben verändern wird.
    Ich beuge mich hinüber und gebe Tina einen Kuss

Weitere Kostenlose Bücher