Kleine Schiffe
geblieben ist. Kurz vor meinem vierzigsten Geburtstag beschlossen wir gemeinsam, dass es genug sei. Wir waren beide so froh, dass wir vor lauter Erleichterung erst einmal ein halbes Jahr überhaupt nicht miteinander geschlafen haben. Das Bett wurde wiederentdeckt als gemeinsamer Erholungsort, in dem man frühstücken, lesen, fernsehen konnte – es war herrlich.
Danach fanden wir den Anschluss nicht mehr. Statt uns lustvoll miteinander zu vergnügen, fehlte dem Akt jetzt die Sinnhaftigkeit. Kinder, das war uns klar, würden dabei nicht entstehen. Die Entdeckung aufregender neuer erotischer Kontinente trauten wir einander jedoch nicht mehr zu. Wobei ich Andreas auf diesem Gebiet nichts vorwerfen kann. Es liegt bestimmt an mir. Ich bin nicht der Typ, mit dem man entspannt Pornos guckt, um danach das Bett in Grund und Boden zu rammeln.
Diesen letzten Satz traue ich mich natürlich höchstens zu denken – nicht einmal Tina gegenüber würde ich ihn laut aussprechen. Andreas brachte mir einmal Strapse mit: schwarz, mit einer roten Schleife auf dem Strapsgürtel. Aber statt sie zu tragen, wollte ich vor allem wissen, wo er sie gekauft und wer ihn dabei beraten hatte.
»Du kommst doch nicht allein auf solche Ideen!«, sagte ich so vorwurfsvoll, als habe er gerade mindestens ein internationales Menschenrecht verletzt, und würdigte die Strapse keines weiteren Blickes. »Ich bin doch keine Nutte!«
Wir ließen das Thema fallen.
Gestern Nacht, als ich mich schlaflos in meinem neuen Bett mit dem Gedanken anzufreunden versuchte, dass ich schwanger bin, ist mir diese Begebenheit wieder eingefallen. Wo wohl die Strapse geblieben sind? Hat Andreas sie zurückgebracht? Weggeworfen? Oder – das gibt meinem Herzen einen kleinen Stich – einer anderen geschenkt?
Tina räuspert sich, ich tauche aus meinen Gedanken auf. Sie blickt mich forschend an. »Du willst doch das Kind nicht etwa bekommen?«
Mir fallen die vielen traurigen Momente ein, wenn ich nach Tagen des hoffnungsvollen Wartens doch wieder meine Regel bekam. Warum ich mir eine Tochter wünschte, weiß ich nicht. Aber für mich war mein Kind immer eine Tochter. Natürlich hätte ich mich auch über einen Jungen gefreut, aber ich träumte nur von einem Mädchen. Vielleicht, weil ich als Kind vor Jungen ein wenig Angst hatte. Und weil ich schon als Teenager beim Babysitten in der Nachbarschaft keine Ahnung hatte, was ich mit den Jungs anfangen sollte. Mit den kleinen Mädchen buk ich Kuchen in der Sandkiste, kippte meine Bastelsachen aus oder nähte Kleider für ihre Barbies. Jungen dagegen starrten mich oft unergründlich lange an, sie fanden Nähen doof und wollten lieber Fußball spielen.
Als ich dann mit Mitte dreißig das Ticken der biologischen Uhr nicht mehr überhören konnte, setzte sich der Wunsch nach einer Tochter in mir fest. Ich erinnere mich noch an einen Morgen, an dem ich wieder einmal mit Menstruationsblut zwischen den Schenkeln aufwachte. In der Nacht hatte ich von einem Ballon geträumt, von seinem Spiegelbild auf der glatten Oberfläche eines Sees, von wehenden Schleifen in dunklem Wasser. Traurigkeit legte sich um mein Herz wie glitzernde Mückenlarven um Seerosenblätter. Selbst im Schlaf spürte ich sie.
Ich sah mir selbst mit einem kleinen, wachen Teil meines Bewusstseins beim Träumen zu. Durch den Ausschnitt eines Dachfensters beobachtete ich eine weinende Fremde im Haus gegenüber und – erkannte mich. Das Spiegelbild des Ballons zitterte, und dann zerplatzte er. Die Luft wurde erschüttert, das spürte ich im Traum bis in meinen Leib. In den frühen Morgenstunden erwachte ich mit diesem Bild, mit dem Gefühl des geplatzten Ballons, und wusste schon, bevor ich nachsah, dass ich meine Tage bekommen hatte.
Im Badezimmer hockte ich auf der Toilette, kramte die Tampons hervor und heulte. Als Andreas klopfte, öffnete ich ihm, aber ich konnte mich nicht trösten lassen. Seine Berührung hätte ich nicht ertragen. Ich setzte mich auf den Badewannenrand und brachte auf seine Fragen nur unter heftigem Schluchzen heraus: »Ich werde nie eine Tochter haben. Nie!« Danach weinte ich nur noch. Und konnte nicht mehr aufhören.
An jenen Morgen denke ich jetzt, Jahre später, in meiner neuen Küche, und ich weiß: So einfach, wie Tina sich das vorstellt, ist es nicht. Tina wiederholt ihre Frage. »Du willst das Kind doch nicht etwa haben?«
»Und was, wenn doch?«
Tina holt tief Luft. »Was, wenn doch? Franzi, das kann doch nicht wahr sein! Was
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