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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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Dachschräge.«
    Wir starren einander erschrocken an. Mir wird schlagartig klar: Papa hat geglaubt, dass ich ihn als Mitbewohner in mein Haus einladen will. Einerseits tut es mir leid, weil ich ihn nicht verletzten möchte. Andererseits bin ich ärgerlich, weil ich dieses Thema aufgrund meiner Schwangerschaft für beendet angesehen habe und Papa jetzt doch wieder darauf zurückkommt.
    Er wirkt aber gar nicht verletzt, sondern regelrecht wütend. Sein Kopf reckt sich aus dem Rollkragen hervor und läuft rot an. »Was soll das? Franziska, ich verstehe dich einfach nicht mehr! Drehst du jetzt völlig durch?« Seine Stimme fegt wie ein Windstoß durchs Wartezimmer. Alle Köpfe wenden sich uns zu. Ich lege meine Hand beschwichtigend auf seinen Arm, aber Papa schüttelt sie ab. »Erst diese völlig unsinnige Scheidung von Andreas …«
    »Ich dachte, du magst Andreas nicht!«
    »Aber deswegen lässt man sich doch von einem Mann wie ihm nicht scheiden!« Er wendet sich dem alten Mann neben ihm zu, der unseren Disput interessiert verfolgt. »Das muss man sich mal vorstellen: Lässt sie sich von einem Mediziner scheiden! Mein Ex-Schwiegersohn ist Anästhesist. Ein bisschen einzelgängerisch, ein bisschen zu oft den Kopf in den Wolken. Aber lässt man sich von so jemandem scheiden?«
    Papas Nachbar schüttelt den Kopf.
    »Zu unserer Zeit ließ man sich nicht scheiden!«
    Einhelliges Nicken unter den Grau-und Weißköpfen im Wartezimmer. Nur ein junger Mann um die zwanzig lächelt mir tröstend zu.
    »Du weißt gar nichts über unsere Ehe«, sage ich.
    Papa winkt ab. »Erst die Scheidung, dann die Schwangerschaft – und jetzt die Schnapsidee, mit einer Minderjährigen zusammenzuziehen.«
    »Lilli ist neunzehn.«
    Papa bläht höhnisch die Nasenflügel. »Natürlich, das ist erwachsen, reif! Franzi, weißt du nicht mehr, was für ein Kind du mit neunzehn warst? Schmeiß diese Person wieder raus!«
    »Damit hast du nichts zu tun. Ich mache, was ich will.« Ich stehe auf. »Das Gespräch ist hiermit zu Ende.«
    Auch mein Vater steht auf. »Gern! Von mir aus! Mach ruhig eine Jugendherberge auf. Aber komm nicht bei mir angekrochen, wenn es nicht klappt! Was weißt du denn von dieser Person? Verdient sie Geld? Zahlt sie Miete? Was für Freunde bringt sie dir ins Haus? Willst du nächtelang Partys feiern, und die Nachbarn schicken dir die Polizei ins Haus?« Er plustert sich ordentlich auf.
    Ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Momentan ist mir mehr nach weinen zumute, denn Papa hat viele meiner unterschwelligen Bedenken ausgesprochen, die unter Lillis leuchtenden Augen und ihrem pfirsichzarten Sonnenaufgangslächeln verborgen liegen.
    »Franzi, das war’s. Ich brauche dich nämlich nicht! Ich glaube, es ist besser, wenn wir uns eine Weile nicht sehen«, holt Papa zum Vernichtungsschlag aus.
    In diesem Moment taucht die Sprechstundenhilfe im Türrahmen auf. »Herr Schneider, Sie können jetzt zur Blutabnahme kommen.«
    Ich weiß, dass es nicht fein von mir ist, aber ich kann ein schadenfrohes Lächeln nicht unterdrücken, als ich Papa ins Sprechzimmer begleite. Mit dem »sich eine Weile nicht sehen« will er doch lieber warten, bis ihm das Blut abgezapft ist.

    Drei Tage hält mein Vater seine selbst auferlegte Kontaktsperre durch. Dann taucht er unangemeldet mit den Unvermeidlichen bei mir auf.
    Während die Unvermeidlichen auf der Bank vor dem Haus rauchen und die mitgebrachten Bierdosen öffnen, beehrt Papa Lilli und mich in der Küche, wo wir Tee trinken. Das heißt, Lilli macht sich gerade einen Kakao. Sie trägt diesmal ein rosafarbenes Hängerchen, rosa Strümpfe, hellgrün gefärbte Turnschuhe, an den Ohren baumeln Plastikerdbeeren, und ihre Fingernägel schimmern in Barbie-Rosa. Papa starrt sie an wie eine Erscheinung.
    Ich verkneife mir, ihn darauf hinzuweisen, dass er mich doch eine Weile nicht sehen wollte. Insgeheim bin ich froh, dass er da ist, obwohl ich noch einen Restgroll in mir spüre. Mein Vater tut so, als hätte es niemals einen Streit zwischen uns gegeben. Er zischt in meine Richtung: »Feiert ihr ein Kostümfest?«
    Lilli tritt unbefangen auf ihn zu und ignoriert seine Irritation. »Sie sind also Franzis Dad?«
    Mein Vater reagiert ratlos und abweisend. »Was?«
    »Sie fragt, ob du mein Vater bist«, übersetze ich.
    »Natürlich! Wer sollte ich denn sonst sein?« Mein Vater lässt sich auf einem Stuhl nieder und verfolgt Lilli mit bösen Blicken.
    »Es ist so cool, einen Papa zu haben«, sagt

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