Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
Vom Netzwerk:
das ein Bild endlich vervollständigt. Und dabei hätte ich nicht gedacht, dass Papa und ich auch nur annähernd ähnliche Bilder zusammensetzen. Aber Lilli reißt mit den Unvermeidlichen Witze, begegnet Papa mit der Zutraulichkeit eines jungen Hundes und sagt mir jeden Tag, wie froh sie ist, in der Wiesenstraße zu leben. Neulich hat sie mir ihren Taschenkalender gezeigt. Einen waschechten Lilli-Taschenkalender: eigenhändig in lila Seide eingebunden und mit vielen Troddeln und glitzernden Perlchen bestickt. In der Rubrik: »Im Notfall bitte benachrichtigen« stehen mein Name und unser Festnetzanschluss sowie meine Handy-Nummer.
    »Du bist ja jetzt so was wie meine Familie, Schatz!«, hat sie gesagt und dabei ihr pfirsichzartes Sonnenaufgangslächeln leuchten lassen.
    Mittlerweile merken wir gar nicht mehr, wenn wir einander »Schatz« nennen – höchstens, wenn Lillis Freunde die Augen verdrehen. Aber das ist mir egal, denn Lilli ist wirklich ein Schatz. Jemand, der mein Leben reich und hell und froh macht. Sie ist unpraktisch, unordentlich, chaotisch – und gleichzeitig warmherzig, liebevoll und sanft. Ich fühle mich in unserer kleinen WG ebenso beschützt wie als Beschützerin.

    Die Einrichtung meines Bastelzimmers geht leider sehr schleppend voran. Noch immer stapeln sich darin meine penibel eingepackten Kisten mit Perlen, Papier, Werkzeug und Farben. Zunehmend wird es aber von Lilli und mir auch als Ausweichgarderobe genutzt, in die wir feuchte Mäntel, schmutzige Schuhe, leere Getränkekisten schieben. Und dann die Tür schnell zumachen. Eines Tages setze ich mich in dem Zimmer mit einem Becher Lilli-Kakao an den alten Campingtisch und krame in meinen Kisten. Lilli gesellt sich wenig später dazu und bekommt große Augen. »Darf ich auch mal?« Sie öffnet den Karton, in dem ich die zuletzt gebastelten Klappkarten verstaut habe. »Die sind echt schön! Was machst du damit?«
    Ratlos runzele ich die Stirn. »Was soll ich denn damit machen? Nichts Besonderes.«
    Lilli legt die Karten auf den Tisch, zieht aus einem anderen Karton zwei meiner selbstgestrickten kleinen Teddys, stellt drei mit Serviettentechnik verzierte Becher daneben und drapiert das Ganze wie auf einem Verkaufstisch. Dann zeigt sie triumphierend darauf. »Nichts Besonderes? Das ist das, worauf du Stunden deines Lebens verwendet hast. Also ist es etwas wert. Warum verkaufst du das nicht?«
    »Wo denn?«
    »Na, beispielsweise auf einem Flohmarkt oder bei einem Basar?«
    Und weil Lilli eben Lilli ist, findet sie noch am selben Tag heraus, dass in zwei Wochen ein Flohmarkt in der Grundschule Am Weiher stattfindet. Und sie treibt mich an, mich dort anzumelden, hilft mir die Sachen einzupacken und sie am Tag des Flohmarkts in der Aula der Schule aufzubauen. Anschließend erweist sie sich als gutgelaunte Verkäuferin.
    Wir stehen stundenlang im Trubel und im Dunst von Waffeleisen herum und ärgern uns über kaufunlustige Glotzer, die alles anfassen und dann wieder zurücklegen. Natürlich ist es zwischendurch auch sehr nett, weil viele Bekannte und Freunde vorbeischauen, denen wir Bescheid gesagt haben. Am Ende nehmen wir 28,99 Euro ein. Ich bin ein wenig enttäuscht und scherze ironisch: »Na, das hat sich ja gelohnt!« Aber als ich Lillis verwunderte Miene sehe, schränke ich schnell ein: »Wenigstens ist das Bastelzimmer fast leer!« Lilli schneidet eine Grimasse. »Mensch, Franzi – und wie sich das gelohnt hat! Fast dreißig Euro – davon kannst du jetzt essen gehen! Vorzugsweise mit deiner treuen Verkaufshilfe.«
    Sie reißt mich wieder einmal mit ihrem Lachen mit, also gebe ich mir einen Ruck, und wir spazieren zum »Nil«, wo Stefan leckere und preiswerte Nudelgerichte anbietet. Wieder zu Hause, schaue ich mich in dem Bastelzimmer um, das deutlich leerer geworden ist. Lilli lässt sich auf eine Kiste fallen. Sie grinst mir zu und streckt sich. »Danke für das Essen! Was für ein Tag.« Ich muss auch grinsen. »Ja, ein schöner Tag. Ich habe meine Vergangenheit in einen Teller Nudeln investiert.«
    Lilli presst die Lippen aufeinander und schüttelt den Kopf. »Falsch! Ich bin mir sicher, dass von dem Essen der Daumen an der rechten Hand deines Babys heute gewachsen ist. Verstehst du das denn nicht? Du hast das Zeug verkauft und dir damit selbst ein Geschenk gemacht.« Sie steht auf. »Und mir auch.«

    Lilli ist es auch, die mich drängt, mich endlich dem Gospelchor anzuschließen. Sie findet nämlich den Zettel, den ich vor Monaten in

Weitere Kostenlose Bücher