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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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Eltern geplündert und Lilli eine breite Matratze mitgebracht, die die Jungs nach oben in Lillis Zimmer verfrachtet haben.
    Auf meine Frage, ob Davids Eltern damit einverstanden sind, winkt er ab. »Die merken das gar nicht.«
    Im Hof steht Tareks Kombi. Alle haben mit angepackt und sogar Bettwäsche und Handtücher nach oben geschleppt. Lilli hat an diesem Abend dauernd einen roten Kopf, hängt David am Arm und wirkt sehr glücklich.

    Als ich meinem Vater von Lillis Einzug erzähle, verschwindet er nicht etwa in seinem Rollkragen. Im Gegenteil, er geht aus sich heraus: Er macht mir eine richtige Szene, und es kommt zu einem Streit. Nun gut, vielleicht hätte ich es ihm nicht gerade im Wartezimmer des Urologen sagen sollen. Dabei liegt der Grund für Papas Nervosität gar nicht so sehr in der bevorstehenden Untersuchung seines Unterleibs, sondern in seiner panischen Angst vor Spritzen. Er hat nämlich Rollvenen und kann mit schauerlichen Geschichten aufwarten, in denen unfähige Krankenschwestern oder Arzthelferinnen am Rande des Nervenzusammenbruchs vorkommen, blutverschmierte Untersuchungstische und er höchstpersönlich als das personifizierte Martyrium der Menschheit. Selbst meine fachliche Autorität nutzt nichts: Ich kann, sooft ich will, vergeblich betonen, dass es Rollvenen nicht gibt: »Rollvenen sind wegrutschende Venen in lockerem Bindegewebe.«
    Papa sieht mich dann nachsichtig an. »Ach, Franziska, was weißt du schon?« Meist versinkt er dann in seinem Kragen und murmelt: »Nur wer Rollvenen hat, weiß, was Rollvenen sind.«
    Ob Rutschen oder Rollen – Papa hat jedenfalls hosenflatternde Angst vor Blutabnahmen, Impfungen und allem, was mit Injektionsnadeln zu tun hat. Früher hat Mama ihn zu solchen Terminen begleitet, heute ist er auf mich angewiesen.
    Bezeichnenderweise werden die Unvermeidlichen nicht zu diesen Hilfeleistungen herangezogen. »Die wissen doch gar nichts von meiner … ähm … von meinen Rollvenen«, empörte sich mein Vater, als ich ihm vorschlug, sich von Rudi oder Helmut zum Arzt begleiten zu lassen.
    Deswegen muss ich auch diesmal den jährlichen Check-up mit ihm ertragen. Ich weiß zwar, wie unruhig Papa bei diesen Terminen ist, aber für mich ist es eine Gelegenheit, endlich einmal allein mit ihm zu sprechen.
    Während mein Vater nervös in einer Zeitschrift blättert, beginne ich: »Ich habe bei der Schwangerschaftsgymnastik ein nettes Mädchen kennengelernt – Lilli.«
    Papa blickt von seiner Zeitschrift hoch. »Wie schön.« Er reibt sich die Innenseite seines linken Ellbogens. »Heute werde ich ihnen gleich den Arm mit den besseren Venen anbieten.«
    Ich verzichte auf den Hinweis, dass das erfahrenen Blutabnehmern völlig gleichgültig ist. So gleichgültig wie für meinen Vater die Tatsache, dass ich schließlich Arzthelferin bin.
    »Lilli ist zwar erst neunzehn, aber sie ist sehr selbständig«, versuche ich mich an das Thema »Lilli wohnt bei mir« heranzutasten.
    Papa inspiziert seinen rechten Innenarm. »Das sollte sie auch, wenn sie in dem Alter Mutter wird. Wer ist denn der Vater? Und was sagen die Eltern des Mädchens dazu?«
    »Der Vater von Lillis Kind geht noch zur Schule, er macht bald Abitur«, beschönige ich Davids Biographie ein wenig. »Ihre Eltern sind geschieden – der Vater lebt in Hamburg, die Mutter in Berlin.«
    Papa rollt seine Pulloverärmel wieder nach unten und seufzt tief. »Gut, dass ich zur Not mit den Venen auf den Handrücken aufwarten kann!«
    Ich entschließe mich zu einem Kurswechsel. »Jetzt, wo das Haus fast fertig ist, merke ich erst, wie groß es ist.«
    Papa schlägt die Zeitschrift zu. »Zu groß für dich?«
    Ich streiche über meinen Bauch. »Nein, nein, nicht zu groß für … uns. Aber es gibt doch noch Platz. Beispielsweise im Obergeschoss.«
    Papa sieht mich interessiert an. »Das stimmt. Da oben gibt es neben deinem Schlafzimmer noch zwei hübsche Räume.«
    »Genau. Und deswegen habe ich gedacht, dass ich vielleicht nicht allein mit Will …, mit dem Kind in dem ganzen Haus leben sollte.«
    Papa nickt. »Das habe ich mir schon lange überlegt. Es wäre doch auch gut für dich, wenn du etwas Hilfe hättest. So ein kleines Kind kann einen sehr fordern.«
    Ich lächele Papa an, der seine Angst vergessen zu haben scheint. Papa lächelt zurück. Und dann sprechen wir beide gleichzeitig.
    Ich sage: »Deswegen freue ich mich, dass Lilli bei mir eingezogen ist.«
    Papa sagt: »Hoffentlich passt mein Bett unter die

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