Kleine Schiffe
Lilli und häuft Löffel um Löffel Kakao in ihren Becher. Bei dem Kinderwort »Papa« zuckt mein Vater zusammen. Auch das ignoriert Lilli. Sie lächelt ihn an.
»Wollen Sie auch einen Kakao, Herr Franziskas-Papa?«
»Ich heiße Schneider.«
Lilli lächelt wieder. »Das macht doch nichts.« Sie gießt Milch in den Becher. »Also, Kakao – ja oder nein? Ich mach den irre lecker. Ihnen entgeht was, Mister Schneider!«
Papa schaut Lilli in ihre blauen Emaille-Augen. Sie lächelt.
Er streift die Erdbeeren und die Fingernägel mit einem unergründlichen Blick. Dann sieht er zu mir herüber. Bevor er sein Kinn im Kragen verschwinden lässt, murmelt er: »Ich kann’s ja mal versuchen.«
Obwohl sich Papa Mühe gibt, Lilli abzulehnen, erliegt er am Ende ihrem Charme. Nicht, dass er von einem Augenblick zum anderen Pullover mit V-Ausschnitt tragen würde. Aber als ich einige Wochen nach Lillis Einzug vom Einkaufen nach Hause komme und in die Küche trete, sitzt mein Vater auf dem Küchenstuhl und hält verzückt den oberen Rand seines linken Ohres an Lillis Kugelbauch. Der Rest des Ohres bleibt zwar im Kragen, aber immerhin. Mein Vater! Mit seinem Ohr auf Lillis nacktem Bauch! Der Mann, der mein Baby »Zellklumpen« nannte und meine voranschreitende Schwangerschaft am liebsten ignorieren würde.
Aus meinem Mund dringt ein Überraschungslaut, den mein Vater ärgerlich wegwedelt. »Pssst!« Sein Gesicht verklärt sich, er drückt seinen Kopf ein wenig dichter an die Kugel, schließt die Augen und reckt dann den Daumen hoch. »Jetzt habe ich es gespürt!«
Ich kann nicht verhehlen, dass mich das traurig macht. Bisher hat sich Willy ziemlich ruhig verhalten. Dr.Fohringer beruhigt mich bei jeder Untersuchung: »Dem Kind geht es gut. Machen Sie sich keine Gedanken.« Tatsächlich habe ich schon sein Herz schlagen hören und über den Ultraschall mysteriöse Unterwassertöne vernommen. Aber ich möchte nicht zu viele Ultraschalluntersuchungen machen lassen, weil es für die Würmchen ziemlich stressig sein soll. Angeblich ist das für sie so laut wie ein einfahrender Zug! Trotz Fohringers Versicherungen bin ich neidisch, denn Lillis Baby – das sie natürlich »Elvis« nennt – trampelt schon seit der fünfzehnten Woche herum. Sie macht jedes Mal eine große Sache daraus und hält dann ihren Kopfhörer mit Elvis-Songs an den Bauch. »Das ist stilbildend. Damit verhindere ich, dass mein Kind jemals schlechte Musik mag«, behauptet sie. Das ist wohl auch der Grund, warum sie meinen Vater jetzt sanft wegschiebt. »Das reicht. Jetzt ist Zeit für die Musikstunde.«
Papa öffnet die Augen, zieht wie ertappt Lillis Pullover herunter und macht sich augenscheinlich verlegen über das Wurstbrot her, das vor ihm liegt.
Lilli zwinkert mir zu. »Willst du auch mal, Franziska? Ich war vorhin so aufgeregt, weil ich das Baby so deutlich spürte, da habe ich Hermann gezwungen, mal zu horchen.«
Mein Vater grinst mich freundlich an. »Deine Mutter war damals genauso aufgedreht, als du unterwegs warst. Einmal hat sich mich im Restaurant angerufen, weil du sie so getreten hast. Sie meinte, dass du bestimmt ein Junge wirst. ›Unser kleiner Fußballer‹ hat sie dich genannt.« Diesmal liegt kein Schatten auf seinem Gesicht. Im Gegenteil: Es leuchtet geradezu. »Wir haben uns so auf dich gefreut!« Er lächelt auf sein Brot hinunter.
»Warst du sauer, weil Franzi kein Junge geworden ist?«, mischt sich Lilli ein.
Mein Vater schüttelt den Kopf. »Nein, kein bisschen. Uns war das gleichgültig. ›Hauptsache, gesund!‹, hat Franziskas Mutter immer gesagt.«
Er versinkt in seinem Kragen und in seinen Gedanken. Einen Moment lang ist es still in der Küche. Lilli fingert suchend an ihrem MP3-Player herum, Papa kaut in seinem Kragen an der Wurst, und ich räume die Einkäufe weg.
Ich will gerade zwei Äpfel in die Obstschale auf der Fensterbank legen – da geschieht es: Ich bemerke eine leichte Bewegung unter meiner Bauchdecke. Als ob etwas von innen abfedert. Das habe ich so noch nie gespürt. Wie Luftblasen, die aufsteigen. Luftblasen? Ich meine wohl Luft! Während ich noch überlege, was ich heute gegessen habe, das mir Blähungen bescheren könnte, geschieht es schon wieder. Das heißt, diesmal ist es anders. Wie ein zartes Blubbern und fernes Ziehen. Obwohl es neu für mich ist, weiß ich tief in mir drin: Das ist Willy. Das ist mein Baby. Ich spüre mein Kind. Zum allerersten Mal!
Papa und Lilli starren mich erstaunt an, als ich
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