Kleine Schiffe
aus der Fernsehzeichentrickserie »Wickie und die starken Männer«: alles ausgesägt und bemalt. Sophie steht mit kritischem Blick davor. »Und?«
Ich streiche ich über das Holz, fahre mit dem Finger den Mast entlang, bewundere den Drachenkopf der Galionsfigur. »Du bist eine Künstlerin!«
Sophie winkt ab. »Vielen Dank. ›Handwerkerin‹ reicht mir völlig!«
»Kann Lilli das denn bezahlen?«, wage ich zu fragen.
Sophie sieht mich nachdenklich an. »Was ist das nur mit euch Leuten über vierzig, dass ihr immer alles in Geld umrechnet?«, fragt sie dann.
Die Antwort erschreckt mich – bin ich wirklich so materialistisch, wie Sophie annimmt? Bevor ich etwas zu meiner Rechtfertigung sagen kann, verteidigt mich Simon: »Hör mal, wenn es Franzi immer um Geld gehen würde, dürfte Lilli hier wohl kaum wohnen.«
Ich bin froh, dass er den Anfang gemacht hat, als ich noch nach Worten suchte. Jetzt kann ich weitermachen. »Stimmt, ich dachte nur, dass so etwas – zu Recht – sehr teuer sein muss, und ich habe mir Gedanken gemacht, wie Lilli das bezahlen kann.«
»Ich wollte dich nicht angreifen«, entschuldigt sich Sophie. »Ich finde es nur schade, dass heutzutage nichts einfach nur schön sein darf, sondern immer am Geldwert gemessen wird.« Sie klopft auf die Schiff-Wickelkommode. »Die habe ich in meiner Freizeit gebaut, weil ich Lust darauf hatte.« Sie runzelt die Stirn. »Und auch, weil ich ein schlechtes Gewissen dabei hatte, Lilli aus der Wohnung zu werfen. Aber wir brauchen den Platz.«
Es erstaunt mich immer wieder, wie Lillis Freunde einen Streit rasch in allgemeines Wohlgefallen verwandeln können. Einen Moment lang schweigen wir. Aber es ist kein unbehagliches Schweigen. Wahrscheinlich denken Simon und Sophie wie ich über das Gespräch nach. Ich glaube, dass die meisten Menschen gut sind. Mein Vater glaubt, dass die meisten Menschen schlecht sind. Und Leute wie Lilli oder Sophie scheinen zu glauben, dass die meisten Menschen eben Menschen sind.
Simon bricht als Erster das Schweigen. Er legt mir sanft die Hand auf den Arm. »Mein Bier ist bestimmt schon warm, aber ich hab gesehen, dass es noch mehr im Kühlschrank gibt. Was dürfen denn schwangere Frauen trinken?«
Als Lilli nach Hause kommt, wird die Runde noch fröhlicher. Sie freut sich über den Dimmer und über die Kommode, aber am meisten freut sie sich, dass Simon und Sophie zum Abendbrot bleiben.
Als wir alle noch einmal die Wickelkommode bewundern, fragt mich Simon, ob ich nicht auch einen Dimmer in meinem Schlafzimmer haben möchte. Er zeigt auf die Tür neben Lillis Zimmer. »Das ist doch dein Schlafzimmer?«
»Woher weißt du das?«
Täusche ich mich oder wird er rot? »Als ich heute Mittag mit Lillis Schlüssel hier hereinkam, wusste ich ja nicht, welches ihr Zimmer ist. Sie hatte nur gesagt: oben. Also bin ich durch alle Zimmer gegangen.«
»Du warst in meinem Schlafzimmer?«
»Ja, ich habe gleich gesehen, dass das nicht Lillis Zimmer ist.«
»Ach ja?« Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme scharf klingt. Worauf spielt er nur an? Wirkt mein Zimmer etwa … alt? Es ist ja fast so, als hätte er in meinem Zimmer ein Gebiss im Glas oder einen Krückstock entdeckt!
Simon zuckt mit den Achseln. »Davon, dass du keinen Teddy wie Lilli hast, will ich gar nicht reden. Eher von der Ausstrahlung des Raumes. Er wirkt einfach viel … erwachsener.« Er macht eine Pause. Dann sieht er mich an und ergänzt: »Weiblicher.«
Ich muss unwillkürlich lächeln, denn Lillis Raum mit der Matratze, den Postern an den Wänden, dem Duftkerzengeruch und den auf dem Boden verstreuten Klamotten sieht ja wirklich eher nach Mädchenzimmer aus. Gleichzeitig bin ich verlegen. Um irgendetwas zu sagen, antworte ich unfreundlicher, als ich eigentlich will: »Ich weiß nicht, ob ich einen Dimmer brauche.« Aber dann reitet mich der Teufel, und ich stoße die Tür zu meinem Zimmer auf. Unwillkürlich sehen wir beide auf das bequeme neue Bett, das den Hauptteil des Raumes einnimmt. Ich habe das Zimmer überwiegend in Weiß eingerichtet – mit ein paar Farbtupfern in einem schilfigen Grün und samtigem Ocker. Die Tagesdecke ist aus einem dicken, strukturierten Stoff, auf dem gemütliche Samtkissen liegen. Es gibt nur den alten Kleiderschrank in dem sanften Nussbaumbraun, einen bequemen Sessel und ein kleines weißes Nachttischchen. Simon gibt sich einen Ruck und geht scheinbar unbefangen in den Raum. Er zeigt auf die Deckenlampe und das
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