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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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einem Laden abgerissen und unter einen Magneten am Kühlschrank geschoben habe. »Interessierst du dich für Gospel?«, fragte sie. Als ich mit den Schultern zucke, strahlt sie mich an. »Das ist doch völlig okay. Elvis hat toll Gospels gesungen.« Wie zum Beweis singt sie leise: »Lead Me, Guide Me …« Sie unterbricht sich, reibt sich erst die Nase und schnippt dann mit den Fingern, wie sie es häufig tut, wenn sie eine Idee hat. Ein wenig erinnert sie mich dann immer an Wickie, die Zeichentrickfigur. Gespannt blicke ich sie an. Doch was dann kommt, überrascht mich wirklich. »Frag doch mal Hermann.«
    »Meinen Vater? Was hat er denn mit Gospel zu tun?«
    Lilli blickt auf den Zettel am Kühlschrank. »Der Chor ist in Barmbek, also ziemlich weit weg. Hermann kocht doch bei diesem Seniorenmittagstisch der Kirchengemeinde. Und er hat mir etwas von einem dortigen Gospelchor erzählt. Er steht doch auch auf Elvis.«
    Das höre ich zwar zum ersten Mal, aber im Zusammenhang mit Lilli überrascht mich mittlerweile nicht mehr viel. Also frage ich Papa tatsächlich. Ab jetzt gehe ich einmal in der Woche ins Gemeindezentrum und singe im Gospelchor, den eine Frau um die fünfzig namens Doro mit viel Schwung leitet. Sie sitzt am Klavier, und wir singen die Melodien so lange nach, bis wir sie können. Wir haben eine Handvoll sehr guter Sänger und Sängerinnen, und musikalische Leisetreter wie ich können sich problemlos einfädeln.
    Als ich an einem Herbsttag beschwingt von der Probe zurückkomme, dringen aus dem Obergeschoss gedämpfte Geräusche. Der Fußboden knackt, etwas Schweres wird geschoben. Stellt Lilli Möbel um?
    »Schatz, ich bin wieder da!«, rufe ich nach oben.
    Heute habe ich beim Gemüsehändler Esskastanien entdeckt, und ich freue mich auf Lillis Reaktion, weil ich weiß, dass sie es sehr gemütlich finden wird, wenn wir vor dem Kamin sitzen und Maroni rösten. Ich habe gleich eine große Tüte gekauft, weil man ja nie wissen kann, wen Lilli diesmal im Schlepptau hat.
    Als ich von oben keine Antwort bekomme, gehe ich die Treppe hinauf. Mit den Worten: »Schatz, wollen wir es uns später vor dem Kamin gemütlich machen?«, betrete ich Lillis Zimmer.
    Eine Antwort bekomme ich weiterhin nicht. Dafür aber den Anblick eines Männerhinterteils in Jeans – in Augenhöhe. Mitten in Lillis Zimmer steht auf einer Leiter, mit beiden Händen an der Deckenlampe, ein mir unbekannter Mann.
    »Hmfghrmpf!«, tönt es oben von dem Kopf, der zu dem Hinterteil gehört.
    Weil ich das nicht verstehe, gehe ich um die Leiter herum. Jetzt erkenne ich auch, warum der Fremde auf der Leiter nicht sprechen kann: Zwischen seinen zusammengepressten Lippen hält er mehrere Schrauben. Geschickt schraubt er eine Lampe an der Decke fest.
    Das gibt mir Zeit, ihn genau zu betrachten. Fest steht, dass ich ihn nicht kenne. Er muss Mitte zwanzig sein. Braune, kurze Haare, ein sommersprossiges Gesicht.
    »So! Das hätten wir!« Er ist fertig und steigt von der Leiter. Dann hält er mir seine ausgestreckte Hand hin. »Ich bin Simon, ein Freund von Lilli!«
    Längst habe ich mich daran gewöhnt, dass Lilli über ein unerschöpfliches Reservoir junger Männer verfügt, die allesamt »Freunde« sind und auf ihrem Lebensweg den Nachnamen verloren haben. Ich ergreife also seine Hand und sage: »Ich bin Franziska.«
    Er hält meine Hand etwas zu lange fest, so dass ich fragend aufschaue. Simon hat helle braune Augen und einen intensiven Blick, der für Bruchteile von Sekunden eine zittrige Irritation durch meinen Magen schickt. Er ist größer als ich, aber nicht so groß wie Andreas. Ohne Hast gibt er schließlich meine Hand frei, blickt mich aber weiter unverwandt an.
    »Wo ist denn Lilli? Und was machst du eigentlich hier?«, breche ich das Schweigen. Simon klappt die Leiter zusammen und räumt sein im Raum verstreutes Werkzeug ein. »Ich habe einen Dimmer eingebaut.« Er zeigt auf den Schalter neben der Tür. »Probier doch mal!«
    Folgsam betätige ich den Schalter und drehe ihn langsam.
    »Funktioniert!« Er lächelt stolz und sieht wie ein Junge aus, der seine Sandburg präsentiert.
    »Ich wusste gar nicht, dass Lilli einen Dimmer haben wollte.«
    Simon zuckt mit den Schultern. »Lilli hat doch Angst im Dunkeln.«
    Das hat sie mir nie erzählt. »Wirklich?«
    Simon nickt. »Was meinst du, was das ist?« Er zeigt auf einen Stecker, der vor der Steckdose auf dem Boden liegt und den ich noch nie in Lillis Zimmer gesehen habe. Ich hebe ihn auf.

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