Kleine Schiffe
Nachttischlicht. »Da kann ich dir überall Dimmer einbauen. Das gibt doch eine viel weichere Beleuchtung.«
Ja, eine Beleuchtung, in dem man meine Falten nicht so deutlich sieht.
Simon fährt fort: »Das ist für Babys angenehmer, sagt Lilli.«
Das klingt logisch und ich nicke. »Hast du denn Zeit dafür?«
Simon lehnt sich gegen den Fenstersims. »Klar habe ich dafür Zeit. Ich arbeite zwar, aber ich habe ja auch mal frei.«
»Was arbeitest du denn?«
»Ich habe eine Ausbildung als Flugzeugbauer bei Airbus gemacht, und die haben mich übernommen.«
Zum zweiten Mal an diesem Tag denke ich: Von wegen Jüngelchen! »Du bist schon fertig? Wie alt bist du denn?«
»Dreiundzwanzig, wieso?«
Ich atme aus. Nervös? Erleichtert? Enttäuscht? Wahrscheinlich ein bisschen von allem. Dreiund-zwanzig! Als er geboren wurde, war ich fast so alt wie er heute. »Nur so.«
»Hm.« Er lächelt mich an – ein wenig schüchtern. Und ich spüre ein Ziehen in meiner Brust und merke, dass ich feuchte Hände bekomme. Gleichzeitig ärgere ich mich. Da fühle ich mich wie ein Schulmädchen, dabei bin ich doch die Ältere! Also zwinge ich mich zu einem leicht koketten Lächeln und behaupte: »Du wirkst älter.« Das freut ihn, wie ich sehe, und er wertet meine Antwort offensichtlich als Einladung zum Flirt, denn er rückt fast unmerklich näher zu mir. Was mich allerdings noch nervöser macht. Mit Männern habe ich nämlich nicht besonders viel Erfahrung gesammelt. Vor Andreas gab es einige kurze Liebesgeschichten, das war alles. Männer nach Andreas gab es nicht. Bis zur Scheidung habe ich mich befremdlicherweise weiter verheiratet gefühlt, trotz der Trennung. Und jetzt das. Papa hat doch recht: Ich habe ein beschissenes Zeitgefühl, und die Reihenfolge kann ich auch nicht einhalten: Mit vierundvierzig im eigenen Schlafzimmer mit einem zwanzig Jahre jüngeren Mann zu flirten – noch dazu mit einem dicken Bauch!
»Also, was ist jetzt mit den Dimmern?«
Ich reiße mich zusammen. »Die Dimmer, ja klar! Also, wenn du die einbauen würdest – ich glaube, das wäre großartig.«
Simon nickt befriedigt. »Na, dann mache ich das gleich nächste Woche, wenn ich frei habe, okay?«
»Okay.«
Eigentlich könnten wir jetzt wieder zu den anderen gehen, aber wir bleiben wie angeleimt stehen und sehen uns an. Simon dreht sich endlich um und blickt aus dem Fenster.
Er sagt: »Lilli nennt das hier immer Gartenhaus. Habt ihr Lust, hier einen richtigen Garten anzulegen?«
Ich bin nicht wie Mama, ich habe keinen grünen Daumen. Gärten können zerstört werden.
Schroff versetze ich: »Ich mache mir nichts aus Pflanzen.«
Simon sieht mich von der Seite an. Aber er nickt und sagt dann: »Für Rasensaat ist es jetzt zu spät, aber wenn man für eine Terrasse Holzplanken nimmt, ein paar Büsche setzt und vielleicht einen kleinen Teich anlegt …«
Das geht mir doch zu weit. »Du vergisst schon wieder, dass du hier nicht wohnst! Außerdem baust du doch angeblich Flugzeuge! Oder bist du Hobbygärtner?« Ich spüre Ärger in mir aufsteigen. Sexappeal oder nicht, Simon kommt mir eindeutig zu nahe. Für dieses distanzlose Geplänkel bin ich zu alt.
Simon hat keine Ahnung von meinen Gedanken. Er antwortet unbekümmert: »Natürlich bin ich kein Hobbygärtner – ich habe noch nicht einmal einen Balkon. Aber Sophie hat einen Freund, der Gartenteiche anlegt. Von dem kann ich mir bestimmt was abgucken.«
»Mir wäre das zu gefährlich: ein Gartenteich und kleine Kinder?«
Simon steht so dicht neben mir, dass sich unsere Arme beinahe berühren. Er zuckt mit den Achseln. »Du hast recht. Aber ich dachte auch eher an ein größeres Vogelbad – auf dem können die Kleinen später Schiffchen schwimmen lassen.«
»Kleine Schiffe … weiß und leicht gebaut …«, rutscht mir heraus.
»Wie bitte?«
Hastig sage ich: »Ach, nichts.«
Aber Simon lässt nicht locker. »Das klang schön. Ist das ein Songtext?«
»Nein, das war aus dem Lieblingsgedicht meiner Mutter.«
Und dann fällt mir noch etwas ein. »Von einem Dichter, der übrigens schon mit vierundzwanzig Jahren gestorben ist. Verunglückt beim Schlittschuhlaufen.« Woher weiß ich das? Das muss mir Mama irgendwann erzählt haben.
»Deine Mutter mag Gedichte?«
Ich seufze. »Mochte. Sie ist schon lange tot. Ich war vierzehn, als sie starb.« Simon sagt erst nichts. Dann fragt er: »Wie ging das Gedicht noch mal?« Ich bekomme nur die zweite Strophe zusammen. Simon hört zu. Als ich aufhöre zu
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