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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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Grillplatz habe ich nicht wörtlich gemeint. Natürlich können Sie hier mal ein paar Scampi oder auch ein Würstchen grillen. Nur, im Vorderhaus gibt es diese Familie Pepovic, die haben fünf Kinder, und da wird ständig gegrillt – auf dem Balkon! Denen mach ich jetzt die Hölle heiß. Das geht doch nicht! Nicht, dass sich die Nachbarn beschwert hätten. Aber ich habe das letztens mitbekommen, und dann haben die Gören auch noch Plastiktüten mit Wasser gefüllt und vom Balkon geworfen. Eine Unverschämtheit! Ich sage Ihnen: Wenn Kinder im Haus sind, hat man nur Probleme! Nicht wahr, Frau Funk?«
    Ich hole Luft, doch bevor ich etwas sagen kann, piept Pröllkes Handy. Während er es aus seiner Jacketttasche holt, winkt er mir entschuldigend zu. »Die Baustelle in Barmbek. Das hab ich schon erwartet! Wenn man nicht alles selbst macht …!« Er lächelt. »Jetzt haben wir uns verplaudert, liebe Frau Funk. Also – weiterhin viel Freude im neuen Heim! Und halten Sie sich von Kindern fern!« Er lacht meckernd. Dann entfernt er sich mit langen Schritten, gestikuliert und bellt Anweisungen in sein Telefon.
    Obwohl die Begegnung nur kurz war, fühle ich mich ausgelaugt. Hat Pröllke wirklich nicht gemerkt, dass ich schwanger bin? Nun gut, in meiner schlabberigen Sweatjacke und der ebenso schlabberigen weiten Hose kann Willy schon mal als Wampe durchgehen. Oder war Pröllkes Auslassung über Familie Pepovic ein Warnschuss in meine Richtung? Ich habe ihn bisher noch nicht einmal von Lillis Einzug in Kenntnis gesetzt. Was, wenn Pröllke uns nach der Geburt der Kinder »die Hölle heiß macht«? Nur mit Mühe gelingt es mir, mich zu beruhigen, als ich mich auf der Gartenbank niederlasse. Dieser Pröllke kommt zum Glück nicht allzu häufig vorbei – dazu ist der viel zu beschäftigt. Er wird also hoffentlich keine Einzelheiten von meiner neuen Lebenssituation mitbekommen. Und wenn doch … Nun, dann werden wir sehen, was zu tun ist. Plötzlich wird mir bewusst, dass ich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn in den Hof starre. Dabei habe ich nach dem gestrigen Abend sehr gut geschlafen und bin heute Morgen mit einem Lächeln auf den Lippen aufgewacht. Erstens, weil sich Willy mit einem freundlichen Blubbern und kleinen Stößen in mein Bewusstsein gestohlen hat, und zweitens, weil ich sofort an Simon gedacht habe. Und an sein Lächeln.
    Daran denke ich jetzt wieder – und Pröllke und meine schlechte Laune verschwinden wir durch Zauberhand. Und dann fallen mir auf einmal zwei kleine weiße Papierschiffchen ins Auge. Sie stehen auf dem oberen Rand der Rückenlehne meiner Gartenbank. Sauber gefaltet, ordentlich nebeneinander positioniert, als ob sie im nächsten Moment in See stechen wollten. Als ich die Schiffchen in die Hand nehme, erkenne ich, dass auf einem ein paar Worte stehen. Beim Lesen spüre ich, wie sich erneut ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet, das dort für den Rest des Tages bleiben wird. Ich lese: »Ein kleiner Gruß von Simon.«

    Abends liege ich im Bett und lasse den Tag noch einmal an mir vorüberziehen. Den ganzen Tag habe ich das Lächeln auf meinem Gesicht gespürt, das Simons Papierschiffchen hervorgezaubert haben. Ich stelle sie auf das Fensterbrett in der Küche, wo sie zwischen Basilikum und Oregano segeln, und nehme mir vor, von nun an häufiger zu lächeln. Und erstaunt stelle ich fest, dass ich dazu mittlerweile gute Gründe habe.

8. Kapitel
Selten fühlte ich mich wohl in mir
an einem wundervollen Ort wie hier
Selten war alles richtig wie
Genau in diesem Augenblick. Selten.
Bernd Begemann: »Selten«
    W eihnachten verbringen Lilli und ich zu Hause und pflegen unsere Bäuche. An Heiligabend gehen wir in die Kirche und feiern einen stimmungsvollen Gottesdienst mit Orgel und den vertrauten alten Texten. Lilli schluckt dauernd, und bei »Was trug Maria unter ihrem Herzen« in der zweiten Strophe von »Maria durch ein’ Dornwald ging« fängt sie an zu weinen. Auch ich kämpfe mit den Tränen. Schließlich schauen wir uns an, nicken uns zu und nehmen uns einfach fest in die Arme. Es muss ein seltsamer Anblick sein: zwei aneinandergeklammerte Schwangere, die tränenüberströmt Weihnachtslieder singen.
    Meinem Vater, der neben mir steht, ist das so unangenehm, dass kaum etwas von ihm zu sehen ist. Seine Mütze scheint direkt auf dem Rollkragen zu sitzen. Aber nach dem Gottesdienst nimmt er mich zur Seite und sagt mit verdächtig feuchten Augen: »Denk dir, Franzi, nächstes Jahr ist unser

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