Kleine Schiffe
muss an den Hormonen liegen, denn trotz des Altersunterschieds und trotz meiner Schwangerschaft spüre ich, wie erotische Lust in mir aufsteigt. Dieser Simon … wie er da steht, in seinem T-Shirt, mit den glatten braunen Armen und dem hübschen Mund … Diese Lustanfälle scheinen übrigens für Schwangerschaften typisch zu sein: Lilli behauptet, ständig die Versuchung zu spüren, David auf die Matratze zu zerren.
Neben all der Abwechslung und der Fröhlichkeit, die Lilli in mein Haus bringt, ist es wunderbar, eine andere Schwangere zu erleben, die genau versteht, warum ich mich manchmal wie eine Irre aufführe.
Letztens gingen wir zusammen über den Hof, als uns eine alte Nachbarin aus dem Vorderhaus ärgerlich aufhielt: »Grüßen können Sie wohl auch nicht mehr, was?«
Lilli und ich sahen uns verblüfft an, denn wir waren so mit uns selbst beschäftigt gewesen, dass wir ihren Gruß schlicht überhört hatten. Lilli fasste sich als Erste. »Tschulli, Frau Schröder. Wir sind nur gerade …« Sie sah mich hilfesuchend an und ich beendete ihren Satz: »Wir sind nur gerade schwanger!«
Das ist die reine Wahrheit: Seit wir schwanger sind – darüber haben Lilli und ich schon oft gesprochen –, haben wir einen regelrechten Tunnelblick. Wir übersehen Bekannte, verpassen U-Bahnen, kreuzen seelenruhig Fahrradwege und verlaufen uns im eigenen Stadtteil. Lilli hat das sehr gut beschrieben. »Wir gucken nach innen.«
Ist ja auch verständlich – schließlich transportieren wir eine sehr wertvolle Fracht. Was uns jedoch nicht daran hindert, Männer von Zeit zu Zeit mit ganz und gar unmütterlichen Gefühlen zu betrachten. Bei mir hielt sich die Lust bisher im Rahmen, was wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen ist, dass es keinen Mann in meiner Nähe gibt, der für erotische Gefälligkeiten in Frage käme. Aber dieser Simon …
»Blödsinn, ich bin nicht sauer«, behaupte ich forsch und lenke meine Gedanken auf ein anderes Thema. »Wer ist denn diese Sophie und was will sie?« Ich reiche ihm ein Bier aus dem Kühlschrank, das er dankbar annimmt. Während er die Flasche öffnet, antwortet er: »Sophie ist eine sehr gute Handwerkerin und bei uns in der Familie die erste Ansprechpartnerin, wenn es darum geht, etwas zu bauen oder zu renovieren.«
Wie aufs Stichwort taucht Sophie mit farbigen Brettern und Holzplatten auf. Simon stellt das Bier schnell auf den Tisch. »Warte, ich helfe dir.« Er zwinkert mir zu. »Geh nicht weg. Wir sind gleich wieder da.«
Ich weiß nicht, ob mich das beruhigen oder alarmieren soll.
Während sie oben arbeiten, mache ich mich im Badezimmer frisch, pudere mir die Nase und beruhige Willy, der heute besonders munter ist. »Du denkst, dass deine alte Mutter verrückt geworden ist, was?« Ich streiche die Haare aus dem Gesicht und finde, dass die Schwangerschaft mich nicht älter, sondern jünger aussehen lässt. Die Haut ist straffer und rosiger, die Augen strahlen und der Zug um den Mund ist weicher.
Um mich zu beschäftigen, rufe ich meine E-Mails ab. Tina hat mir eine Information aus dem Restaurant »Nil« weitergeleitet: Koch Stefan lädt ein zum Kochkurs »Romantik-Dinner Austria – die Fortsetzung«. Einen Moment lang spüre ich mein schlechtes Gewissen, denn ich habe Stefan gar nicht davon unterrichtet, dass seine Vermutung an jenem Abend stimmte und ich schwanger bin.
Aber offenbar hat das Tina für mich erledigt, denn sie schreibt: »Stefan schickt liebe Grüße und meint, vielleicht hätte ja der werdende Vater Lust, wenigstens bei der Fortsetzung dabei zu sein. (Haha!) Ich habe schon gebucht und Kontakt mit Jonas und Suse aufgenommen. Die sind nur halb so spießig, wie man denkt, wenn man sie näher kennenlernt – und wieder dabei. Daniel und Matthias kommen auch, mit großem Bruder. Und du?«
Ich höre Sophie und Simon oben rumoren, und für einen Moment stelle ich mir vor, mit Simon im »Nil« bei Kerzenschein am schön gedeckten Tisch zu sitzen und süße Mehlspeisen zu naschen. Schnell verscheuche ich die Gedanken – auf welche Ideen man kommt, wenn man schwanger ist! Mit großer Wahrscheinlichkeit würden alle ihn für meinen Sohn halten.
Schon eine halbe Stunde später poltert Simon die Treppe herunter und zieht mich vom Sofa hoch. »Komm, du musst mal schauen.« Sein Tonfall erinnert an ein ungeduldiges Kind. Der Druck seiner Hände aber ist der eines Mannes.
Oben in Lillis Zimmer bin ich überwältigt. Die Wickelkommode sieht aus wie das Schiff der Wikinger
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