Kleine Schiffe
Gruppe von Frauen, die mindestens zweiundzwanzig Stunden am Tag auf dem Spielplatz verbringen. Alle sind übergewichtig und sehr mütterlich. Ihre Kinderwagen erinnern an Wohnmobile. Oder an Planwagen, vollgepackt für den Treck in den Wilden Westen. Riesige Karren mit unzähligen Speichermöglichkeiten für unterschiedliches Equipment. Diese Mütter sind ausgerüstet für alle Eventualitäten: von der kindlichen Durchfall-Attacke bis zum Weltuntergang – und darüber hinaus. Das alles ehrt sie. Und sie haben entzückende Kinder, wie wir auf unseren täglichen Wir-rollen-schwanger-durch-die-Nachbarschaft-Gängen bemerkt haben. Nur: Sie sind eben alle dick. Zu dick. Wir watschelten mit unseren runden Bäuchen an ihnen vorbei und nahmen gern die leckeren Muffins an, die sie uns aus ihren Tupperware-Dosen anboten. Schwangerschaft ist eben ein Ausnahmezustand, der uns die widersprüchlichsten Dinge tun lässt. So schworen wir uns beispielsweise, nie so dick wie die Dicke-Mütter-Brigade zu werden, und kehrten dann zur Bekräftigung dieses Entschlusses in der nächsten portugiesischen Pastelaria ein, um uns mit Creme-Gebäck für den Heimweg zu stärken.
»Du hast recht. Also Schluss mit den Törtchen!«, bestätige ich entschlossen.
Lilli hebt nur widerwillig ihren Blick von Lisa-Marie, die sie mit der überwältigten Miene eines Entdeckers betrachtet. Doch die Entschiedenheit in meiner Stimme reißt sie mit. Sie nickt kämpferisch und deklamiert: »Keine heiße Schokolade am Abend!«
»Vorerst keine Pizza quattro stagioni!«
»Nie wieder Nutella-Croissants!«
Das geht nun doch zu weit: Nutella-Croissants gehören zum Samstagmorgen wie das Amen in die Kirche. Am Samstag kaufe ich immer beim Bäcker an der Ecke frische Croissants. Dann sitzen wir am Küchentisch und starten mit Nutella-Croissants ganz langsam in den Tag. Ich versuche es mit einem Kompromiss: »Wie wäre es mit wenigstens einem Nutella-Samstag im Monat?«
Doch Lilli bleibt hart. »Entweder – oder, Schatz! Ich will David nicht an so einen Hungerhaken aus der zehnten Klasse verlieren.«
»Befürchtest du das?«
»Ja und nein. Nicht, weil David mich zu fett fände. Dem ist es wurscht, wie dick ich bin, so lange ich nicht zickig bin oder schlecht gelaunt. Aber die anderen …«
»Die anderen?«
Lilli runzelt die Stirn und sieht jetzt viel älter aus, als sie ist. Sie legt den Kopf schief. »Die anderen gehen doch auch alle noch zur Schule und glauben das, was ihnen die Zeitschriften oder Fernsehmagazine vorbeten. Also: ›Mädchen müssen dünn sein, sonst kannst du sie nicht gut finden.‹« Sie imitiert Tarek: »Digga, eine fette Alte. Voll krass! Mit der kannst du dich nicht zeigen! So was wird nie ’ne Königin.« Sie macht eine kleine Pause. »Deinem Dad war es bestimmt egal, wie dick oder dünn deine Mutter war.«
Ich glaube auch, dass die Figur oder das Gewicht kein Thema für meine Eltern war. Sie hatten sicher Wichtigeres zu besprechen.
Lilli räuspert sich. »Eigentlich finde ich uns beide dumm. Da haben unsere Körper neun Monate lang eine Höchstleistung erbracht und wir haben die schönsten Babys der Welt geboren. Warum sind wir nicht einfach stolz darauf?«
»Sind wir doch.«
Das stimmt nicht hundertprozentig: Natürlich bin ich so stolz wie noch nie in meinem Leben. Und das Gefühl für Amélie verdrängt fast alle anderen Gefühle. Aber ein Kind geboren zu haben macht mich nicht automatisch blind, noch nicht einmal vorübergehend wie bei der Schneeblindheit. Ich habe vorhin im Badezimmer meinen Bauch angeschaut. Ich weiß, was mich bedrückt. Einen dicken Schwangerschaftsbauch zu haben ist etwas anderes, als nach der Geburt in den Spiegel zu schauen und zu erkennen: »Du bist dick!« Und dafür gibt es bald keine Entschuldigung mehr. Als Schwangere kann man ja nichts gegen den Hüftumfang tun – ein erleichterndes Gefühl, das einen dazu verleitet, mehr zu essen als nötig. Vorher war das ein Bauch mit Baby. Ohne Baby bleibt nur der Bauch übrig. Für den bin nur ich allein verantwortlich.
Lilli unterbricht meine Gedanken. »Wir dürfen uns nicht von diesen Pressemeldungen verrückt machen lassen, dass irgendwelche Models oder Sängerinnen vier Wochen nach der Entbindung schon wieder eine Topfigur haben. Das sind absolute Ausnahmen oder Presse-Enten. Diese Fotos von den ultrafitten Übermüttern sind alle im Computer bearbeitet. Wenn man ein Kind geboren hat, sieht man so aus wie wir!« Sie lacht mich an.
Und als ich sie
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