Kleine Schiffe
ansehe – mit den verstrubbelten Haaren, ungeschminkt, mit dunklen Ringen unter den Augen und einem Pickel auf der Wange –, finde ich sie wunderschön. Sie strahlt von innen und ist umgeben von einem Glanz, den kein Puder und keine Computer-Retusche jemals herstellen können.
»Außerdem haben diese Glamour-Mamis alle einen Personal-Trainer, der sie bereits während der Nachgeburt isometrische Übungen zur Ganzkörperkräftigung turnen lässt«, sagt Lilli und schlägt dann vor: Demnächst machen wir bei Kim und Nina einen Kurs für Rückbildungsgymnastik. Und später suchen wir uns eine schöne Sportart aus.« Sie blitzt mich unternehmungslustig an. »Worauf hättest du Lust?«
Es klingt, als ob ich das große Los gezogen hätte. Während ich darüber noch schmunzele, wird mir schlagartig klar, dass ich tatsächlich gewonnen habe: Ich kann jetzt mein gesamtes Leben neu bestimmen. Alles kann neu werden . Ich bin zum ersten Mal Mutter – das hätte ich noch vor einem Jahr nicht für möglich gehalten.
Ich höre mich sagen: »Ich würde gern endlich anfangen zu laufen. Also Joggen. Und ein Ballspiel wäre schön. Volleyball hat mir früher Spaß gemacht.«
Lilli ist zufrieden. »Na, das ist doch schon was. Zum Laufen würde ich mich auch überreden lassen. Aber Volleyball? Nee, das wäre nichts für mich. Vielleicht Squash?«
Bevor ich antworten kann, klopft es, und Simon steckt den Kopf herein. »Ich wollte mal nach euch Mädels gucken!«
Lilli lacht vergnügt auf. »Mein Geburtshelfer! Immer rein in die gute Stube.«
Als Simon das Zimmer betritt, scheinen die Wände des Zimmers zu verrutschen, der Raum wird größer – es ist, als ob mit ihm eine frische Brise hereinweht. Auf jeden Nachttisch stellt er eine kleine Vase mit einer einzelnen Rose. »Die Schwestern auf dieser Station sind wirklich nett. Die haben mir sofort Vasen für euch geholt.«
Lilli und ich tauschen einen verständnisvollen Blick. Simon trägt ein eng anliegendes T-Shirt und sieht aus wie der vielversprechende junge Mann aus einer sympathischen Bausparer-Werbung. »So schnell wird Lisa-Marie mich nicht los«, sagt er jetzt und nimmt Lilli das Kind aus dem Armen. »Darf ich sie mal halten?« Sehr souverän macht er das.
Fast bin ich ein wenig neidisch – ich wünsche mir, dass er Amélie mit derselben Zärtlichkeit herumträgt. Er hebt Lisa-Marie auf, küsst ihre Stirn und schnattert mit ihr wie eine besorgte Gänsemutter.
»Simon, gib dir keine Mühe«, sagt Lilli endlich, nachdem er minutenlang nicht ansprechbar war.
»Wie bitte?«
»Sie kann noch nicht antworten.«
Simon sieht Lilli verblüfft an. »Was?«
»Du stellst ihr dauernd Fragen!« Lilli imitiert Simon: »Na, meine Kleine, wie geht es dir? Ist das nicht schön, dass der Onkel Simon jetzt da ist? Was hast du denn heute Morgen ohne mich gemacht?«
Simon wird puterrot und reicht Lilli das Baby zurück.
»Das hab ich gar nicht gemerkt!« Er seufzt. »Babys sind so …« Er sucht nach Worten und rettet sich dann in die Jugendsprache: »Babys sind so cool.«
Mir tut das Herz weh. Warum kann Andreas nicht so einen Satz sagen?
»Hat David dich erreicht?«, fragt Simon beiläufig und tritt nun endlich an mein Bett. Lilli schnappt aufgeregt nach Luft. »David? Wieso?«
Simon dreht ihr den Rücken zu und hält Amélie seinen Daumen hin, den sie reflexartig mit ihren kleinen Fingerchen umkrallt. Er sagt: »Na, wir haben telefoniert. Er ist total aufgeregt, der junge Vater. Er wollte unbedingt einen Blumenstrauß besorgen. Das hat ihn wohl aufgehalten.«
Unsere Blicke kreuzen sich, und obwohl er mir keinerlei Zeichen gibt und auch nichts weiter sagt, wird mir klar, dass er David aufgespürt und ihm die Leviten gelesen hat.
Wenig später taucht David wirklich auf – mit einem Blumenstrauß, dem man deutlich ansieht, dass er nicht mehr taufrisch ist. »Sorry«, murmelt er bleichgesichtig und übernächtigt. Er stinkt nach Bier und Zigarettenqualm. »Ich hab mit den Jungs gefeiert, dass ich Vater bin. Dabei sind wir abgestürzt.« Er legt die Blumen auf das Bett. »Oliver hat mich schnell hergefahren. Hier! Das war der letzte Blumenstrauß an der Tanke.«
Lilli freut sich trotzdem.
Als wir mit den Babys wieder zu Hause sind, beginnen wir sofort mit unserer Ernährungsumstellung. Dabei vertieft sich die Beziehung zwischen Lilli und meinem Vater, denn Lilli, die von Anfang an das Programm »gesunde Ernährung« im Auge hat – »allein schon wegen des Stillens« –, wendet
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