Kleine Schiffe
Windeseile mit unzähligen Schälchen vollgestellt.
Ein Kellner klärt uns auf: »Das hier ist Kichererbsenpüree, das dort geräuchertes Auberginenmus. Dies hier ist eine Walnuss-Paprika-Paste, daneben frischer Ziegenquark mit Kräutern. Hier hinten finden Sie kleine Kartoffeln in Zitrone, Olivenöl und Thymian.«
Diese leckeren Vorspeisen werden flankiert von Lammwürstchen auf orientalischem Salat und Geflügel, mariniert in arabischen Gewürzen. Es schmeckt köstlich, und wir amüsieren uns – bis Babette mit dem Löffel an ihr Glas klopft.
Als die Gespräche verstummen, steht sie auf und hält eine kleine Rede. Sie freute sich, sagt sie, dass wir alle ihrer Einladung gefolgt sind, und berichtet von Mitschülern, die abgesagt haben. »Klaus ist auf dem Pilgerweg, Katrin in der Reha, Stephan hat eine Gitarrenschule auf Mallorca, Carola lebt in Winnipeg, und Annette arbeitet in einem Labor für Molekularbiologie in Cottbus.«
Merkwürdig, dass ausgerechnet Babette das Treffen organisiert hat. Ihr hätte ich am ehesten Ausflüge ins Ausland zugetraut, und dass sie einen Formel-1-Piloten heiratet und im internationalen Jetset eine schillernde Figur abgibt.
Babette belässt es nicht bei ihrer Rede. Sie verlangt von uns, dass wir der Reihe nach aufstehen und kurz aus unserem Leben erzählen. Das ist wirklich eine gute Idee, weil wir so alle etwas von den anderen erfahren. »Sonst sitzen ja doch nur die alten Cliquen zusammen!«, sagt Babette und wirft uns einen vorwurfsvollen Blick zu.
Julia lacht unbekümmert. »Nur kein Neid!«
Und Petra ergänzt scherzhaft: »Für Volleyball warst du doch viel zu schön. Und wir haben dir viel zu viel geschwitzt!«
Alle lachen, und Babette zieht eine bemühte Grimasse. Sie wirkt ziemlich angespannt. Immer wieder sieht sie zu Michel hinüber.
Der erzählt, als er an der Reihe ist, von seinen vier Söhnen, mit denen er an der Atlantikküste surft, und von seiner Frau, die als Architektin das Eigenheim der Familie selbst entworfen hat.
Wie sehr wünsche ich mir in diesem Augenblick, von Andreas und »unserer Familie« erzählen zu können …
Auch die anderen berichten von Häusern auf dem Land, von Fernreisen, von den schulischen Leistungen der Kinder, von neuen Büros und neuen Ehen, von gelungenem Leben.
All diese Erfolgsstorys drücken schwer auf meine Brust, und als ich dran bin, bekomme ich kaum ein Wort heraus.
»Also, Franziska, was hast du in den letzten Jahren gemacht?« Babette sieht mich von unten an. Ich fühle ihren lauernden Blick über den Insektenfleck auf meinem T-Shirt streifen.
Unwillkürlich verschränke ich die Arme vor der Brust. »Ich bin Arzthelferin, aber derzeit im Mutterschaftsurlaub.«
Das sorgt für einiges Raunen an den Tischen.
Babette fasst nach: »Und der glückliche Vater babysittet heute Abend?«
Ich spüre, wie ich rot werde. Aber dann sage ich es doch: »Ich bin alleinerziehend.«
Wieder ein leichtes Geraune. Michel rettet die Situation, indem er ruft: »Herzlichen Glückwunsch zum Nachwuchs, Franziska!« Er hebt sein Glas und animiert die anderen, auf mich anzustoßen. Ich sehe, wie die Dicke, die neben Gerd sitzt, ihm etwas zuflüstert. Babette zieht ihre Augenbrauen noch höher unter den Stirnansatz. Sie spielt immer noch die Rolle der Gastgeberin und will sich das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Mit allen anderen hat sie ein kleines Frage-und-Antwort-Gespräch geführt, und auch ich komme nicht darum herum. »Du warst ja immer schon eine Spätentwicklerin, nicht wahr?«, witzelt sie, während ich mit rotem Kopf neben ihr stehe und nicht weiß, wohin ich mit meinen Händen soll. »War das so geplant?«, fragt sie.
»Na, ja, was heißt schon geplant?«
Gönnerhaft fährt sie fort: »Es ist auf jeden Fall sehr mutig von dir, in diesem Alter noch Mutter zu werden.« Die Worte »in diesem Alter« betont sie derart, dass mich mit Sicherheit alle Anwesenden in ihrer Vorstellung als gebrechliche Greisin mit künstlichem Darmausgang sehen. Babette fährt fort: »Aber ich verstehe das. Torschlusspanik ist ja nichts, wofür man sich schämen müsste. Besser spät als nie! Was soll man machen? Zeugungswillige Männer fallen ja besonders in unserer Generation nicht vom Himmel.«
Als ich die Augen senke, bemerke ich, dass Babettes Mann Hubert konzentriert in sein Glas blickt. Könnte es sein, dass Babette lieber mit Michel Kinder bekommen hätte, statt von Hubert runderneuert zu werden?
Die Dicke kommt als Nächste dran. Sie
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