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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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heißt Roswitha, und ich schäme mich, weil ich mich noch immer nicht an sie erinnere. Nur undeutlich fällt mir ein stilles, pummeliges Mädchen ein, das am äußeren Rand der Klasse saß. Erstaunlicherweise ist Roswitha Kriminalkommissarin. »Mordkommission«, wie sie stolz verkündet.
    Ähnlich unauffällig wie Roswitha war Heiner Wittkowski, der sich jedoch in meiner Erinnerung damit lebendig hielt, dass er den Hamburger U-Bahn-Plan mit verschiedenen Farbstiften vollständig aus dem Gedächtnis aufzeichnen konnte. Er ist heute Besitzer einer Ladenkette für Sanitärbedarf. »Wir verkaufen und vertreiben vor allem Rollatoren oder Delta-Gehräder und haben damit einen wachsenden Markt erschlossen«, fasst er zusammen.
    Babette nutzt diese Information für eine hämische Bemerkung an meine Adresse: »Heiner, dann schreib dir schon mal Franziskas Adresse auf. Die braucht bestimmt eine Gehhilfe, um später unfallfrei zur Abschlussfeier ihrer Tochter gehen zu können!« Sie steht sehr gerade, sehr schick und selbstsicher in dem stilvollen Restaurant und lacht zum ersten Mal an diesem Abend aus vollem Herzen. Natürlich lachen auch einige andere, und ich entscheide mich, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und mitzulachen, obwohl mir die Tränen hinter den Augen sitzen.
    Als endlich alle vorgestellt sind, wird glücklicherweise das Dessert serviert, und ich kann mich auf die Toilette verdrücken. In der Kabine vermag ich mein Schluchzen nicht mehr zurückzuhalten. Natürlich weiß ich, dass Babette ein Biest ist, und ich weiß auch, warum sie so gemein ist. Aber ich kann nicht verhindern, dass ihre Worte meine tiefsten Befürchtungen getroffen haben: Bin ich nicht tatsächlich zu alt für die Erziehung eines Kleinkinds? Solange ich mich mit Lilli unter unserer gemütlichen Mütter-Baby-Glasglocke befinde, fällt mir das nicht auf. Aber die meisten anderen Mütter auf dem Spielplatz gehören nun mal einer anderen Generation an. Meine Wimperntusche verläuft, und meine Haut ist fleckig und rot. Ich repariere mein Äußeres, soweit es mit angefeuchtetem Toilettenpapier geht. Dabei beschließe ich, nach Hause zu fahren. Was soll ich noch hier? Mit Julia und Petra habe ich bereits E-Mail-Adressen ausgetauscht. Die anderen können mir gestohlen bleiben.
    Ich drücke mich den Flur entlang und gehe mit hocherhobenem Kopf am Speiseraum vorbei. Dabei greife ich in meine Handtasche, als suche ich nach einer Zigarettenschachtel – für eine schnelle Raucherpause. Ich laufe die Treppe hinunter zu meinem Fahrrad. Ich will nur nach Hause. Zu Amélie, zu Lilli. Dorthin, wo mein Leben nicht als gescheitert betrachtet wird und mich niemand für eine Versagerin hält. Doch meine Flucht ist nicht unbemerkt geblieben.
    Als ich das Fahrradschloss öffne, taucht überraschend Michel hinter mir auf. »Franziska!«
    Einen Moment lang stehen wir uns verlegen gegenüber.
    Michel sagt schließlich: »Wegen damals …«
    »Das ist doch gleichgültig. Ist schon so lange her.«
    Michel schüttelt den Kopf. »Nein, mir ist das wichtig!«
    Unter dem Kragen seines grauen Hemdes erkennt man eine Lederschnur. Als er meinen Blick bemerkt, zieht er sie aus dem Kragen hervor. Ein Tierzahn baumelt daran.
    »So etwas trägst du noch?«
    »Klar! Ich surfe doch auch immer noch.« Er steckt seine Hände in die Hosentaschen und zieht die Schultern hoch. »Franziska! Wenn ich es jetzt nicht sage, dann traue ich mich wahrscheinlich nie. Oder erst beim nächsten Klassentreffen in zwanzig Jahren.« Er sieht mich nicht an, sondern fixiert einen Punkt weit hinter mir. Dann sagt er langsam: »Ich … ich war … von der siebten Klasse bis zum Schluss, während der kompletten Schulzeit, in dich verliebt!«
    Ich traue meinen Ohren nicht und starre ihn an.
    Schließlich presse ich hinaus: »In mich? Ich dachte, du und Babette …«
    Michel schüttelt den Kopf. »Babette …« Er sucht nach Worten. »Babette, das war mehr eine Trophäe. Die wollte jeder haben, und ich musste mir und den Kumpels beweisen, dass ich sie auch kriegen konnte. Die war doch so was wie … ein Wanderpokal.«
    »Warum hast du mir das nie gesagt? Also, dass du …« Ich verstumme.
    Michel legt den Kopf schief. »Weil ich ein Idiot war. Weil du für mich etwas … Heiliges warst.« Er sieht mir in die Augen und sagt: »Als wir uns auf dieser Party damals geküsst haben, bin ich hinterher bis zum Morgengrauen durch die Stadt gelaufen. An Schlaf war nicht zu denken. Ich war furchtbar

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