Kleine Schiffe
durcheinander.«
»Du hast mich nicht angerufen.«
»Ich konnte nicht. Ich wusste, das mit dir würde eine große, eine ernste Sache werden – und dem fühlte ich mich nicht gewachsen. Ich wollte doch nach Hawaii … nach Australien … die perfekte Welle …«
Ich sehe in sein gealtertes Michel-Gesicht und erkenne den Jungen, in den ich einst so sehr verliebt war. Es tut weh. Und es tut gut. »Mit deiner Frau … ist das eine große, ernste Sache geworden?«
Michel nickt. »Ja. Sehr groß, sehr ernst und richtig.«
Wir lächeln uns an, und dann beugt sich Michel vor und küsst mich sanft auf die Wange. »Viel Glück, Franziska!«
»Dir auch, Michel.«
Als ich in die Fruchtallee einbiege, erhellt ein Blitz die Nacht. Ein Donner folgt sehr weit entfernt. Dann fängt es an zu regnen. Mir ist gleichgültig, dass ich nass werde. Mein Outfit ist sowieso hin. Ich sitze auf dem Rad, fahre durch den Gewitterregen und heule mir die Seele aus dem Leib. Nicht wegen Michel und mir, unserem schlechten Timing. Sondern weil ich mich klein, erfolglos und einsam fühle. Klassentreffen dienen nämlich nicht dazu, uns ins Erinnerungsparadies der Jugend zu entführen. Sie zeigen uns mit gnadenloser Härte die gescheiterten Träume, die nicht erfüllten Hoffnungen. Klassentreffen zeigen uns, was wir nicht geworden sind. Doch als ich die Osterstraße erreiche, versiegen die Tränen endlich. Ich stemme mich gegen den Wind und trete in die Pedale, und dann muss ich lachen. Ich bin froh, dass kaum Menschen auf der Straße sind, denn ich lache wie eine Irre und trotze mit hoch erhobenem Kopf dem Unwetter. Das Leben ist so absurd und herrlich! In einem Moment versetzt es einem eine schallende Ohrfeige, und man fühlt sich wie die geborene Verliererin. Und im nächsten macht es uns zu Heldinnen unserer eigenen Geschichte. Michel hat mich geliebt. Er hat mich geliebt.
11. Kapitel
Irgendwas hat angefangen
ich bin nicht sicher, ob ich alles verstehe
doch ich bin mir ganz sicher
dass ich mit dir gehe.
Bernd Begemann: »Ich bin dann soweit«
A ls ich zu Hause ankomme, habe ich mich wieder halbwegs im Griff. Doch dann stehe ich klatschnass im Hausflur und höre, wie Simon oben mit Amélie spricht. Das klingt so vertraut und tröstlich und rührend, dass ich wieder in Tränen ausbreche und mich auf die Treppenstufen sinken lasse. Tränen ändern zwar nichts, aber Tränen trösten. Also heule ich ein wenig vor mich hin, gerührt und melancholisch. Ich bin gar nicht mehr so unglücklich. Nur sehr verheult. So findet Simon mich.
»Franziska!« Er setzt sich neben mich. »Was ist los?«
Ich schüttele unter Tränen den Kopf und bringe nur heraus: »Wie geht’s Amélie?«
Simon rubbelt meinen Rücken. »Prima, ich habe ihr gerade das Nachtfläschchen gegeben. Jetzt schläft sie.« Er gibt mir einen kleinen Stups. »Du bist völlig nass. Warum steigst du nicht schnell in die heiße Wanne, und ich mach uns einen Tee?« Er sieht mich besorgt an. »Und dann reden wir?«
Der Vorschlag ist gut. Ich drücke ihm meine durchnässte Jacke in die Hand und schleiche nach oben. Bevor ich mich ausziehe, gehe ich auf Zehenspitzen zu Amélies Bettchen. Sie liegt mit geballten Händchen auf dem Rücken, als wolle sie ihren Babytraum festhalten. Bei ihrem Anblick muss ich schon wieder schlucken. Ich verdrücke mich schnell in die Badewanne, wo niemand meine Tränen sieht.
Später schlüpfe in eine gemütliche Sweathose und ein frisches T-Shirt. Als ich vor dem Spiegel meine nassen Haare kämme, fühle ich mich etwas besser. Als ob das Bad Babettes gehässige Kommentare und meine bitteren Gefühle fortgewaschen hätte.
Im Wohnzimmer hat Simon das Sofa vor den Kamin gezogen. Auf dem kleinen Tisch steht ein Teebecher. Simon liegt auf dem Sofa und trinkt aus einem Weinglas. Als er mich sieht, schwingt er die Beine herunter und setzt sich aufrecht. »Da bist du ja! Hier ist dein Tee.«
Als ich mich neben ihn setze, drückt er mir fürsorglich die Tasse in die Hand.
»Ich habe den Kamin angezündet«, erklärt er unnötigerweise.
Wir sitzen vor dem Feuer und sehen in die Flammen. Mir tut die Wärme gut, der Tee vertreibt die letzte Kälte aus meinem Körper. Simon steht auf. »Ich trinke noch ein Glas Wein. Möchtest du jetzt auch eins?«
Ich nicke. Er kommt mit den Gläsern zurück, wir stoßen an. Dann fragt er: »Was war denn los? War’s nicht nett?«
»Doch … nein …« Ich schlucke wieder, und dann erzähle ich ihm alles. Von Babette und Michel,
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