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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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wird ihren alten Schulfreunden bestimmt den Kopf verdrehen.« Dann wendet er sich mir zu. »Du siehst großartig aus!« Als ich zögernd an ihm vorbeigehe, hält er mich kurz an der Schulter fest und sagt: »Amüsier dich gut – und mach dir keine Sorgen. Wir zwei kommen hier gut klar.« Was seine letzten Worte angeht, gebe ich ihm sofort recht. Amélie liegt wie in Abrahams Schoß, wenn Simon im Haus ist. Aber was das Klassentreffen angeht: Da mache ich mir durchaus Sorgen.

    Das Treffen findet in einem Restaurant namens »Mazza« am anderen Ende des Viertels statt. Da das Wetter frühsommerlich warm ist, schwinge ich mich auf unser Fahrrad. Lilli und ich benutzen es abwechselnd, es ist ein rostiger Drahtesel, aber in unserer Gegend ist es von Vorteil, ein altes Fahrrad zu haben: Alles andere wird geklaut.
    Wie sooft in Hamburg hat sich die Sonne entschieden, erst am Abend richtig herauszukommen. Es ist viel wärmer, als ich dachte. Schon nach wenigen Metern spüre ich, dass ich schwitze – an der nächsten Ampel ziehe ich das Bolerojäckchen aus. Lilli hat aus einer alten Obstkiste einen Gepäckträger improvisiert – dort hinein lege ich die Jacke.
    Mit den Schwitzflecken auf der weißen Bluse werde ich leben müssen. Und mit noch mehr, wie ich feststelle, als ich das Fahrrad schwer atmend vor dem »Mazza« abstelle. Ich bin die Abkürzung am Kaiser-Friedrich-Ufer entlanggefahren, wo die Mücken in der schwülen Abendsonne tanzten. Mücken – und auch viele kleine schwarze Gewittertierchen, die natürlich nichts Besseres zu tun hatten, als sich auf meine blütenweiße Bluse zu heften. Abklopfen kann man sie nicht, denn dabei würde man sie zerdrücken. Also zupfe ich erst einmal ein paar Minuten an der Bluse herum. Leider hat sich ein Gewittertierchen mitten auf dem Bauch für Selbstmord entschieden und dabei einen hässlichen Schmierer hinterlassen. Vielleicht reicht das Bolero-Jäckchen so weit über den Bauch, dass ich es verdecken kann?
    Doch als ich danach greife, erlebe ich die nächste böse Überraschung: Der linke Ärmel ist auf unerklärliche Weise über die Seite der Kiste gekrabbelt und hat sich im rostigen Schutzblech verfangen. Herrlich. Also nichts mit Bolero! Mein Spitzenunterhemd klebt mir nass am Rücken. Während ich noch mit meinem Schicksal hadere, hat sich dieses schon eine weitere Härte für mich ausgedacht. Denn ich sehe, wie ein dicker älterer Mann mit eiligen Schritten auf mich zusteuert. Wahrscheinlich der Hausmeister. Gleich wird er seinen Zeigefinger ausstrecken und den hausmeisterlichen Klassiker von sich geben: »Hier dürfen Sie Ihr Fahrrad nicht stehen lassen!«
    Doch diesmal irre ich. »Franziska? Mensch, Franzi!«, ruft der Mann mit Stirnglatze und leicht hängenden Wangen. Er trägt einen Anzug, der schon bessere Tage gesehen hat, abgestoßene braune Halbschuhe und eine Aktentasche, die mich an meinen Onkel Albrecht denken lässt, der bis zu seinem Tod Beamter in einem niedersächsischen Katasteramt war. Etwas an dem Beamtengesicht kommt mir bekannt vor, und ich höre mich zu meiner eigenen Verblüffung fragen: »Gerd?«
    Der Beamte nickt erfreut. »Ja, genau!« Er klopft mir tapsig auf die Schulter. »Meine Güte, Franzi! Du hast dich ja kaum verändert.« Er lächelt mir auffordernd zu.
    Als danach eine kleine Pause entsteht und er mich immer noch erwartungsvoll angrinst, begreife ich, dass er auch von mir eine solche Bestätigung erwartet. Also huste ich schnell und sage: »Also, du auch nicht.«
    Gerd ergreift schwungvoll meinen Arm. »Jetzt los! Ich hab von Frank auf der Fahrt hierher eine SMS bekommen. Die sind alle schon da.« Er erzählt, dass er mit Frank zusammen eine große Steuerberaterpraxis betreibt. Aus Frechdachsen werden Steuerberater. So ist das.
    Obwohl Gerds Hand leicht schwitzig ist und diese Wärme durch die ebenfalls verschwitze Bluse zu spüren ist, bin ich froh, mit ihm gemeinsam das Restaurant zu betreten. Es ist schlicht und edel eingerichtet – ich fühle mich in meinem farbenfrohen Outfit sofort fehl am Platze. Zumal die Menschen, die schon mit einem Aperitif in den Händen zusammenstehen und plaudern, alle wesentlich förmlicher gekleidet sind. Die Frauen tragen fast alle Kostüme, vereinzelt sehe ich auch Hosen, aber immer mit hohen Schuhen kombiniert. Auch die Herren haben sich für gedeckte Farben entschieden. Ich habe das Gefühl, als würden meine blauen Stiefel leuchten.
    Nur langsam gelingt es mir, einige Gesichter mit meinen

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