Kleine Schiffe
Augenbrauen. Ich bin etwas verlegen, aber ich nicke. Simon lässt das Hemd von seinen Schultern gleiten. Er hat eine glatte muskulöse Brust, unterhalb seines Bauchnabels schlängelt sich eine schmale Spur aus Haaren in den tiefsitzenden Jeansbund. Simon legt den Kopf schief. Er beugt sich vor, streift die Schuhe ab und zieht die Socken aus. Er deutet ein paar Tanzschritte an. Endlich begreife ich, was Simon da eigentlich macht. Er versucht mir die Angst zu nehmen, er gibt sich als Erster preis, zeigt sich nackt. Ein kleiner Strip, ein Geschenk für mich. Dabei ist er überhaupt nicht abgebrüht, sondern wirkt sogar ziemlich schüchtern. Als er die Jeans fallen lässt und in einer angedeutet lasziven Bewegung seine Boxershorts vor sich dreht wie eine Nachtclubtänzerin ihre Federboa, kann ich nicht anders: Ich öffne meine Arme. »Komm her zu mir.«
Unter den äußeren Schichten meines Körpers, der in den letzten Monaten der einer Mutter geworden ist, regt sich eine andere Frau. Sie streckt sich, räkelt sich … und dann steht sie auf. Sie drängt – erst schüchtern, dann immer ungestümer – ins Freie, dorthin, wo der Wind über Ebenen fegt … vielleicht zum Meer. Sie hebt den Kopf stolz, als wolle sie zum Bootsmast hinaufsehen, an dem eine Fahne im Wind flattert.
Simons Hand gleitet unter mein T-Shirt. »Ist das in Ordnung?«
Ängstlich nicke ich. Seine Haut duftet nach Duschgel, nach Mann, nach … Simon. Simon, der mich begehrt.
Für den Bruchteil einer Sekunde kommt mir Babette in den Sinn, mit ihrem dauergebräunten Golfspieler und dem frustrierten Zug um die Mundwinkel, den keine Operation der Welt verschwinden lassen kann.
Während ich Simon dabei helfe, mir das T-Shirt auszuziehen, verschwindet jene verschrumpelte Franziska, die Babette mit ihren gehässigen Worten heraufbeschworen hat, aus meinem Sichtfeld.
Hier und jetzt, auf dem Sofa vor dem Kamin, in den Armen eines jungen Mannes, liegt eine andere Franziska. Eine, deren Haut im Feuerschein leuchtet und die sich befangen und erwartungsvoll wie beim ersten Mal den Umarmungen hingibt.
»Ich glaube, ich bin etwas aus der Übung«, flüstere ich.
Simon sieht mich lächelnd an und streicht mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Er beugt sich über mich und sagt zwischen zwei Küssen: »Das verlernt man nicht.«
Er stützt sich auf den Ellbogen und streichelt meinen Körper. Nicht nur mit seinen Händen, sondern auch mit seinen Augen. Der letzte Mann, der mich nackt gesehen hat, war Dr.Fohringer bei der Geburt. Instinktiv greife ich nach der Decke, die über der Sofalehne hängt.
»Ist dir kalt?«, fragt Simon.
»Nein, ich …«
»Lass doch. Deck dich nicht zu! Ich möchte dich ansehen …«
Und meine Schwangerschaftsstreifen? Meine Speckröllchen? Das leichte Hängen des Bauches unter dem Nabel?
Doch Simons Augen spiegeln die Frau, die er gerade sieht. Sie hat mit Speckröllchen und Schwangerschaftsstreifen nichts zu tun. Er steht auf und holt ein Kondom aus seiner Jackentasche im Flur. »Hast du das immer dabei?«, scherze ich.
Simon sieht mich verwundert an. »Natürlich!«
Ich sehe ihm zu, wie er das Kondom überzieht. Natürlich! Simon ist kein Mann in meinem Alter, bei dem eine Frau sehr konsterniert wäre, wenn er beim ersten Date ein Gummi dabeihat. Simon ist jung und ungebunden. Er kann gestern mit dem einen Mädchen geschlafen haben und morgen mit einem anderen schlafen. Aber heute schläft er mit mir.
Es ist so, als müsste ich meinen Körper in einen anderen Betriebs-Modus schalten. Das ging beim Küssen und Berühren leicht, aber nun habe ich doch Angst. Wird es weh tun? Wird es sich anders anfühlen? In den letzten Monaten hatte Liebe nur etwas mit meinem Baby zu tun. War reine Zärtlichkeit. Kann ich jetzt wieder Erregung und Lust spüren? Darf ich das?
Simon spürt meine Bedenken.
»Hab keine Angst, ich bin vorsichtig«, sagt er und küsst mich immer und immer wieder. Und er sagt auch: »Amélie schläft tief und fest.«
Das ist der Moment, in dem ich mich ihm anvertraue. Es fühlt sich wirklich wie das erste Mal an, als er in mich eindringt. Ich spüre den Schmerz, aber auch die Wärme, die den Schmerz überstrahlt. Und Lust. Lustlustlust. Simon zu küssen und zu schmecken, seine weiche Haut zu streicheln und auf meiner Haut zu fühlen. Mit jeder Bewegung, mit jedem gemeinsamen Atemzug rollt Babettes Gehhilfe ein Stück weiter den Abhang hinunter, bis sie im hohen Bogen über die Klippe stürzt. Simon hält mich fest.
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