Kleine Schiffe
mit einem nervösen Unterton in der Stimme, den ich nicht kenne.
Lilli und ich wechseln einen amüsierten Blick. Ich nicke wohlwollend, und Lilli schnalzt anerkennend mit der Zunge. »Gar nicht so schlecht, nur das Wickeln musst du noch üben.«
In der Tat ist Andreas in seinem Bemühen, die letzten zehn Monate schnellstmöglich nachzuholen, sogar vor dem Wickeln nicht zurückgeschreckt. Da hat er jedoch kläglich versagt.
»Man sollte eben wissen, wie man eine Windel hinlegen muss, damit die Klebestreifen am Ende nicht die Ohren zusammenkleben«, tröstet Lilli ihn mit hintergründigem Lächeln.
»Sie sollten schon über dem Bauch verlaufen«, ergänze ich beflissen.
Andreas und ich sitzen am Küchentisch, als sich Lilli von uns verabschiedet. Auch sie trägt dem Datum Rechnung: schwarz-orangefarben geringelte Strümpfe, ein schwarzes Etuikleid mit einem schwarzen Spitzenschal, grellgrüne Lippen, orangefarbener Lidschatten und kleine Deko-Kürbisse als Ohrringe.
»Guckt mal!« Sie steckt sich Vampirzähne aus Plastik in den Mund. »Tut nichts, was ich nicht auch tun würde!« Mit diesen Worten verschwindet sie im Flur. Aber sie kommt noch einmal zurück. »Und pass bitte gut auf Lisa-Marie auf, ja, Schatz?« Sie zwinkert Andreas zu. »Deine Tochter ist das schönste Baby auf der Welt. Ja, ich weiß: meine auch!«
Wir bleiben in dem stillen Haus zurück. Doch die anfängliche Scheu und Verlegenheit sind überwunden. Andreas arbeitet sich systematisch durch mein Fotoalbum und studiert Amélies Kinder-Untersuchungsheft, als bräuchte er für eine Prüfung alle Werte vom Geburtsgewicht bis zur Größe seiner Tochter. »Zehn von zehn«, murmelt er stolz, als er die Zeile mit den Apgar-Werten nach der Geburt erreicht hat. Er sieht sich die Seite über die Entwicklung des Kopfumfangs an, vergleicht die Ergebnisse von U4 und U5. »Wann gehst du zur U6?«, fragt er, und bevor ich antworten kann, kommt schon die nächste Frage: »Darf ich mitkommen?« Er schlägt die Hand vor den Mund. »Was meinst du, wird mich die Kinderärztin für ihren Großvater halten?« Er grinst mich an.
Wie sehr habe ich dieses Grinsen vermisst!
Andreas missversteht mein Schweigen. »Nicht, dass du jetzt denkst, ich hielte dich für alt!«, beeilt er sich zu sagen. »Du siehst gar nicht alt aus. Im Gegenteil!« Er verstummt hilflos. Dann fährt er fort: »Hast du mich eigentlich beim Standesamt als Vater angegeben?«
»Nein.«
»Holst du das nach? Mir wäre es wichtig. Ich würde natürlich auch gern für Amélie zahlen.« Er lächelt mich anerkennend an. »Dass du das alles allein gestemmt hast, Franzi! Meine Hochachtung.«
Mir wird warm ums Herz, weil mich seine Bemerkung freut. Und weil er mich »Franzi« genannt hat. Das tut Andreas nämlich nur in besonderen Momenten.
So sitzen wir vor dem Kamin, und die Zeit verstreicht. Irgendwann nach Mitternacht fragt Andreas: »Wollen wir nicht noch eine zweite Flasche Wein aufmachen?« Mit frisch gefüllten Gläsern machen wir es uns wieder vor dem Kamin gemütlich und reden und reden. Andreas berichtet von seiner Arbeit in der großen Klinik in Aabenraa. Von seiner Wohnung im »Rádhusgangen«, in einem schönen Neubau aus hellrotem Klinker mit einem großen Balkon unweit der alten St. Nicolai Kirke. Er erzählt vom alten Stadtkern, der belebten Fußgängerzone mit Cafés und Läden, vom »Kinesisk Grill«, wo er Stammkunde ist – nach jedem Nachtdienst. Er erzählt vom Strand, an dem er im Sommer mit Kollegen Beachvolleyball gespielt hat, vom Yachthafen, dem Hafen-Restaurant »Sejlclubben« und dem Boot, das er sich mit einigen Kollegen und Kolleginnen teilt. Und dann erzählt er ausführlich von Mette, der dänischen Assistenzärztin, mit der er zusammen ist.
»Ist es Liebe?«, frage ich.
Andreas antwortet: »Es ist angenehm. Meistens.« Er blickt ins Feuer. »Und bei dir und diesem Simon? Ist das Liebe?«
Ich ziehe die Schultern hoch. »Bis jetzt hat es sich so angefühlt. Bis …« Ich will sagen: »Bis heute« oder »Bis du hier aufgetaucht bist.« Doch das Klingeln des Telefons unterbricht mich. Überrascht sehe ich auf die Uhr. »Schon nach drei. Wer ruft denn um diese Zeit an?« Ich nehme ab.
»Frau Funk?«, fragt eine unbekannte Stimme.
»Ja?«
»Henschel, Polizeikommissariat 23, Troplowitzstraße.«
»Ja?«
»Im Fall eines Unfalls hat Frau Lilli Urbschat darum gebeten, Sie zu informieren.«
Mir wird schwindelig. »Lilli hatte einen Unfall?«
Herr Henschel legt einen
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