Kleine Schiffe
Andreas und ich sitzen an unserem alten Küchentisch und prosten uns zu. Viel jünger sind wir alle – Johannes und Andreas sind gerade von einem Segeltörn in Dänemark zurückgekommen. Andreas legt den Arm um Johannes’ Schulter und hebt sein Glas. »Bei unserem ersten Kind wirst du Patenonkel, abgemacht?«
Johannes stößt mit uns an. »Aber nur, wenn es ein Mädchen ist, das so aussieht wie Franziska!«
Ein kalter Luftzug trifft uns. »Süßes oder Saures?«
Wir sitzen wieder im »Lál Pera«. Johannes’ Name hat die Distanz zwischen uns schrumpfen lassen.
»Es war nicht richtig von mir, dir Amélie vorzuenthalten«, sage ich. »Dafür möchte ich mich entschuldigen.«
»Warum hast du das nur getan?«
Ich sehe ihn direkt an. »Weil du mich bei unserem letzten Treffen so verletzt hast.«
»Womit denn?«
»Du hast gesagt, dass es gut wäre, dass wir keine Kinder haben. Weil ich so unselbständig – und mit einem Kind dauernd überfordert gewesen wäre. Und dann hast du noch einmal nachgetreten.«
Er verzieht sein Gesicht, als ob er Schmerzen hätte. »Wie denn?«
»Du hast gesagt: ›Du willst zu wenig.‹«
Nun ist es einen Moment lang still am Tisch. Andreas stützt sein Kinn in die Hände. Schließlich sagt er: »Ich kann mich gar nicht richtig an die Situation erinnern. Nur daran, dass ich eigentlich so schnell wie möglich nach Aabenraa wollte … und dann die ganze Nacht geblieben bin. Der Scheidungstag war für mich grauenhaft. Wir hatten uns doch unser Leben so anders gedacht. Und ich spürte … Ich wollte dir nie weh tun.« Er greift spontan nach meiner Hand. »Du musst mich für ein riesiges Arschloch gehalten haben!«
Ich nicke. Es kommt mir unpassend vor, mit Andreas Händchen haltend im Café zu sitzen, obwohl es sich gut anfühlt. Aber ich bin mit Simon zusammen. Noch. Oder? Ich entziehe Andreas langsam meine Hand.
Er sieht mich fragend an. »Und was machen wir jetzt?« Es ist ungewohnt, ihn so abwartend und zurückhaltend zu erleben.
»Wärst du denn gern Amélies Vater?«
Er runzelt die Stirn. »Bin ich das nicht sowieso?«
Ich muss lachen, weil er so besorgt aussieht. »Doch, natürlich. Aber bis jetzt wusstest du ja nichts von deinem Glück.«
Sein Gesicht leuchtet auf. »Ja, nicht wahr – es ist ein Glück!«
Er schüttelt wieder seinen Kopf. »Stell dir das mal vor: Ich bin Vater! Nach all den Jahren, wo es nicht geklappt hat! Ich … bin … Vater …« Er nimmt wieder meine Hand.
Diesmal ziehe ich meine nicht weg. Wir halten nicht Händchen wie ein Liebespaar. Andreas hält meine Hand wie ein Freund. Ich sehe ihn an, sehe uns, wie wir in diesem dunklen Café sitzen, während draußen die kostümierten Kinder die Straße entlangziehen. Mit einem Mal bin ich sehr froh. Froh, dass Andreas der Vater meines Kindes ist. So, wie ich es mir immer gewünscht habe.
»Wo ist denn unser Wunschkind im Moment?«, fragt Andreas.
»Zu Hause.«
»Und wer kümmert sich um sie? Dein …« Er unterbricht sich und fängt noch einmal an: »Kümmert sich dein Freund um sie?« Er zögert, aber dann fragt er doch: »Findest du ihn nicht reichlich jung?«
Seine Frage verletzt mich erstaunlicherweise nicht. Sie erfüllt mich mit Stolz. Ich richte mich auf, straffe meinen Oberkörper. »Jung, ja . Zu jung? Nein. Simon ist dreiundzwanzig.«
Andreas atmet hörbar ein. »Dreiundzwanzig!« Mehr sagt er nicht.
Stattdessen beantworte ich seine Frage: »Amélie ist bei Lilli und Lisa-Marie.« Ich erkläre ihm meine Wohnsituation und dass mein Vater und seine Freunde heute Morgen nur zu Besuch waren.
Andreas trommelt ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. »Wollen wir dann nicht langsam los?«
»Wohin?«
Zum zweiten Mal überrascht mich Andreas. Er springt auf, reißt die Arme hoch, als wolle er die Welt umarmen, und ruft: »Wohin? Na, zu meinem, äh … unserem Kind, natürlich! Ich … habe … eine … Tochter!«
Von den anderen Tischen tönt Applaus herüber. »Wird ja auch Zeit!«, ruft ein junger Mann mit unförmiger Strickmütze, der am Tresen ein Bier trinkt.
»Glückwunsch!«, sagen zwei junge Mädchen kichernd von einem der tiefen Sofas an der Seitenwand aus. Der Applaus brandet noch einmal auf, als sich Andreas verbeugt. Nur ein kleines Teufelchen, das im Luftzug der offenen Tür steht, applaudiert nicht. Es hält Andreas eine Tüte hin. »Süßes oder Saures?«
Auf dem Weg nach Hause schleift mich Andreas fast mit, weil ich ihm nicht schnell genug gehe. Gleichzeitig stellt er
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