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Kleine Schiffe

Kleine Schiffe

Titel: Kleine Schiffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Schuetze
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unsicher. In dieser aktiven Rolle hat er mich nie erlebt. Wenn wir früher essen gingen, übernahm er nicht nur die Restaurantauswahl, sondern mehr oder weniger selbstverständlich auch die Bestellung. Er fragte mich zwar immer, was ich wollte, doch das unterstrich nur die Tatsache, dass er die Verantwortung trug. Sogar im arabischen Imbiss, beim Essen nach der Scheidung, hat er bestellt und bezahlt.
    Ich nehme die Speisekarte vom Tisch und halte sie ihm hin. »Ich nehme einen Tee mit frischer Pfefferminze und Ingwer.«
    Andreas überfliegt die Karte. »Das klingt mir zu … abenteuerlustig. Ich trinke einen Kaffee.«
    »Dann erledige ich das. Setz dich doch! Bin gleich wieder da.«
    Beim Bestellen spüre ich seinen irritierten Blick. Als ich ihm dann gegenübersitze, sagt er unvermittelt: »Gut siehst du aus!«
    Du siehst viel besser aus . Seine dunklen Haare sind gut geschnitten, sein offenes Gesicht rasiert und gepflegt. Er ist so sportlich und schlank wie immer. Ich sage nichts, sondern lächele nur. Da sitzen wir also: Ein Mann und eine Frau, die einander einmal alles bedeutet haben. Andreas berichtet über den Ärztekongress, der unter dem Motto »Moderne Rettungsmedizin« steht. Ich zupfe an den Minzblättern und höre mit halbem Ohr zu, denn ich muss eine erstaunliche Beobachtung verdauen: Mein sonst so selbstsicherer Ex-Mann verfranst sich im Smalltalk.
    »… es ist wirklich erstaunlich, wie manche Kollegen …«
    Bedächtig lasse ich Honig in mein Teeglas tropfen.
    »Das muss man sich einmal vorstellen! Dabei ist der Stand der modernen Rettungsmedizin …«
    Die Tür wird aufgestoßen, und mit einem Schwall kalter Luft entert eine vierköpfige Gruppe Halloweengeister das Café. Zielbewusst steuern sie die Theke an. Ein Kleiner im Kürbiskostüm kräht: »Süßes oder Saures! Süßes oder Saures!«
    Andreas starrt die Kinder verwirrt an, was zu einem abrupten Ende seines Wortschwalls führt.
    »Hihi!« Eine kleine Hexe rennt als Erste mit einem Lolli in der Hand aus dem Lokal. Andreas starrt ihr nach wie einer Erscheinung. »Was ist denn das?« Die Kinder verschwinden mit schaurigem Gejaule.
    Ich zucke mit den Achseln. »Halloween!«
    Andreas wiederholt das Wort wie einen ihm bisher unbekannten medizinischen Fachausdruck: »Halloween …«
    Innerlich grinse ich. Wenn Amélie zu jung für diesen Tag ist, dann ist Andreas zu alt dafür. Gleichzeitig überlege ich krampfhaft, wie ich das Gespräch auf Amélie bringen kann. In einem spontanen Entschluss platze ich einfach heraus: »Lass uns über Amélie sprechen!«
    »Amélie? Wer ist …« Fragend zieht er die Augenbrauen hoch. »Amélie?« Er lauscht dem Wort nach. Dann scheint er etwas zu erinnern. Amélie! Wenn er es nicht vergessen hat … Ungläubiges Verstehen flackert in seinen Augen auf. »Dann waren das heute deine Kinder?«
    »Nur eins. Das Blonde. Die Dunkelhaarige ist Lisa-Marie, Lillis Tochter.«
    »Du bist also Mutter. Glückwunsch!« Andreas sieht traurig aus. Verletzt. Er glaubt offenbar, dass ich mit einem anderen Mann ein Kind bekommen habe. Er fragt: »Und der Vater ist dieser … dein … also der junge Mann von heute Morgen?«
    Ich hole Luft. »Du bist der Vater.«
    Andreas starrt mich an. »Ich? Wie … Wann …« Dann scheint ihm etwas einzufallen. »Die Nacht nach der Scheidung?«
    Als ich nicke, lehnt er sich in seinem Stuhl zurück. Er stößt mehrfach die Luft aus, wie nach einem schnellen Lauf, und schüttelt den Kopf.
    Als er seine Stimme wiederfindet, muss er sich anstrengen, um ganze Sätze herauszubringen.
    »Das ist unglaublich … Wieso hat das da geklappt, nachdem wir es so lange vergeblich versucht haben? Das ist ja der Wahnsinn … Mensch, Franzi …« Er fährt sich aufgeregt durch die Haare. »Und ich habe mir die Kinder heute Morgen gar nicht genauer angesehen … Dabei war eines meins! Also ein Mädchen. Ein Mädchen! Ich habe eine … Ich bin Vater einer Tochter!« In seiner Stimme klingt ein weiches Juchzen mit. »Warte …« Er greift in seine Jackentasche, holt sein Handy heraus und lässt es wieder sinken. Er atmet tief ein, und ich sehe, dass seine Augen feucht sind.
    Andreas räuspert sich. Er blickt fast schüchtern zu mir herüber. »Weißt du, was ich gerade machen wollte?« Er legt das Handy auf den Tisch. »Ich wollte doch tatsächlich Johannes anrufen!«
    Johannes. Wie durch Zauberhand verschwindet das »Lál Pera«, der Tisch mit unseren Getränken, der Stadtteil, die Gegenwart, die Zeit. Johannes,

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