Kleine Schiffe
tröstenden Ton in seine Stimme. »Bedauerlicherweise. Sie ist ins Universitätskrankenhaus Eppendorf verbracht worden.«
Die Küche dreht sich vor meinen Augen. »Was ist passiert? Geht es ihr gut?«
»Frau Funk, bitte notieren Sie die Nummer des Krankenhauses. Dort wird man Ihnen Genaueres sagen. Haben Sie einen Stift griffbereit?«
Ich krame hektisch in der Küchenschublade nach einem Kuli, schreibe mit zitternder Hand die Nummer auf. Zweimal lässt mich Herr Henschel die Nummer wiederholen, weil ich vor lauter Aufregung die Zahlen verdreht habe.
»Gibt es noch Verwandte, die Sie informieren könnten?«, fragt der Polizist.
»Nein, sie lebt mit ihrer Tochter hier.«
»Wie alt ist das Kind?«
»Zehn Monate.«
»Wer kümmert sich um das Kind? Ist jetzt jemand bei ihm?«
»Es ist hier.«
»Und wenn Sie jetzt ins Krankenhaus kommen, wer …«
»Mein Mann ist hier. Dr.Funk. Er ist Arzt.« Erst als die Worte heraus sind, fällt mir auf, dass ich nicht Ex-Mann gesagt habe. Mit zitternden Fingern lege ich auf.
Andreas steht plötzlich neben mir. »Was ist los?«
»Lilli hatte einen Unfall! Sie ist im Krankenhaus! Ich muss zu ihr …«
Er hält mich auf. »Also, du solltest nicht in Hausschuhen losrennen. In welchem Krankenhaus ist sie?«
»Im UKE.«
Andreas nimmt mir sanft den Zettel aus der Hand. »Hör mal, du schaust jetzt nach den Kindern und suchst ein paar Sachen für Lilli zusammen. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um das Krankenhaus.«
Dankbar überlasse ich ihm das Telefon.
Der Anblick der schlafenden Kinder beruhigt mich tatsächlich ein wenig. Friedlich schlummern sie in ihren Bettchen. Lisa-Marie hat sich freigestrampelt, und ich decke sie wieder zu. Sie bewegt sich leicht, runzelt die Stirn, schläft aber weiter. Unten höre ich Andreas’ Stimme, ruhig und bestimmt. Eine Sekunde lang überlege ich, Simon anzurufen. Aber ich lasse es. Denn noch weiß ich nicht, was geschehen ist. In Lillis Zimmer packe ich Unterwäsche, eine frische Jeans und einen sauberen Pullover zusammen.
Andreas empfängt mich mit sorgenvoller Miene. »Sie hatten einen Autounfall.«
»Sie? Wer denn noch?«
Das weiß Andreas nicht. Jedenfalls war noch jemand dabei.
»Wobei?«
»Soviel man weiß, saß Lilli in einem Auto, das in der Osterstraße einen Unfall hatte.«
»Was?« Ich beginne wieder zu zittern.
Andreas seufzt. »Man weiß noch nichts Genaues.«
»Was soll ich denn nur tun?«
»Du fährst jetzt mit einem Taxi ins Krankenhaus.« Er drückt mir den Zettel in die Hand, auf dem inzwischen wesentlich mehr steht als nur die von mir notierte Telefonnummer. »Da kannst du dich nach Lilli erkundigen. Das da oben ist der Name des operierenden Arztes.«
»Und die Kinder?«
Andreas seufzt wieder. »Wenn es nicht so schrecklich ernst wäre, müsste ich jetzt lachen: Es sieht so aus, als ob ich gerade einen Crash-Kurs im Vatersein absolviere. Und heute Nacht gleich mit zwei Kindern.« Er wirft noch einmal einen Blick auf den Zettel in meiner Hand. »Ach, darum werde ich mich kümmern.« Er greift nach dem Stück Papier und setzt etwas in Klammern. »Der Kinder-und Jugendnotdienst wird sich bestimmt bei uns melden – wegen Lisa-Marie.« Andreas nimmt mein besorgtes Gesicht in beide Hände. »Das ist Routine. Du hast doch der Polizei von Lisa-Marie erzählt. Und die sind verpflichtet, sich schnell zu überzeugen, dass es ihr gutgeht. Ich kenne das. Könnte ja auch sein, dass sie niemanden hat, der sich um sie kümmert, solange Lilli nicht da ist. Verstehst du?« Er streicht mir über den Arm. »Dass du dir Sorgen um Lilli machst, ist verständlich. Aber um die Kinder brauchst du dich nicht zu sorgen. Die haben einen voll ausgebildeten Mediziner als Kindermädchen ergattert. Brei kann ich auch kochen.« Andreas zwinkert mir zu. »Nur beim Windelnwechseln müssen mir die Zwerge halt helfen.« Dann ruft er mir ein Taxi.
»Wir können nicht über die Osterstraße fahren«, informiert mich der Fahrer. »Da ist alles gesperrt, gab einen schweren Unfall. Ein paar Idioten sind in den U-Bahn-Eingang gerauscht.«
Ich sitze schweigend auf dem Rücksitz, starre in die Dunkelheit und fange an zu beten. Meine eiskalten Finger umklammern in der Manteltasche Lillis Lippenstift.
15. Kapitel
In meiner letzten Stunde gibt es keine Bitterkeit
und keine verpasste Gelegenheit
in meiner letzten Stunde
wirst Du bei mir sein.
Bernd Begemann: »In meiner letzten Stunde«
V or dem Eingang der Notaufnahme warten Menschen in
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