Kleine Suenden zum Dessert
Bono.« Seit sie angeschossen worden war, hatte sie, was sie brauchte, gern in greifbarer Nähe. Ihr Fuß schmerzte noch immer ein wenig, was die Ärzte allerdings nicht mehr auf die Verletzung zurückführten, sondern als beginnende Arthritis diagnostiziert hatten. Es ließ sich nicht leugnen - sie wurde alt. »Mammy«, begann Michael mit bedeutungsvoller Miene, und sie fragte sich, ob jetzt wieder einer seiner Vorträge käme, die er ihr neuerdings so gern hielt. Sie ließ ihm die Freude und heuchelte Aufmerksamkeit. »Ich finde, du überforderst dich.«
»Ich helfe nur ein bisschen, das ist alles.«
»Spiel es nicht runter. Bono ruft dich an, um Himmels willen!«
»Und Sinead O‘Connor«, ergänzte sie voller Stolz. »Sie ist übrigens besonders nett. Kommst du auch mit, Michael?«
Er hatte den Mund voll Whiskeycreme. »Ich?«
»Es wird ein Ereignis. Tausende von Menschen werden gleichzeitig in Dublin und London auf die Straße gehen! Und wir haben Rockstars und Politiker dafür gewinnen können und zwei Boygroups - die werden wir wohl getrennt marschieren lassen müssen - und ein paar Sieger aus Gameshows. Und jetzt wollen wir noch Sinead und Bono anwerben.«
Es würde die größte Anti-Atomkraft-Aktion seit Jahren werden. Die nach ihren erfolglosen Einzelkämpfen desillusionierte Martine war von einer großen Umweltschutzorganisation in London zum Mitmachen verführt worden. Sie hatte Julia gefragt, ob sie ehrenamtlich zu Hause mitarbeiten wolle. »Broschüren in Kuverts stecken und solche Sachen.« Eine Woche lang hatte Julia wie besessen Broschüren in Kuverts gesteckt, dann jedoch eine Bemerkung in Richtung Altersdiskriminierung fallen lassen, worauf sie für den bevorstehenden Protestmarsch eiligst zur PR-Assistentin befördert worden war.
Es überraschte sie, mit welcher Leidenschaft sie sich in die Arbeit stürzte. Morgens beim Aufwachen konnte sie es kaum erwarten loszulegen, in Dublin und London und Edinburgh anzurufen, um Mitstreiter zu gewinnen. Was hätte wohl JJ zu dem Ganzen gesagt? Wahrscheinlich hätte er es als eine weitere Marotte abgetan wie den Steingarten und den Rosengarten und die Bierbrauerei im Schuppen. Aber er hatte ja schließlich einen Beruf, der ihn ausfüllte. Er hatte die Welt bereist. Sie hockte zu Hause, und ihre einzige Gesellschaft und Beschäftigung war ein kleines Kind gewesen, mit dem sie sich nicht verständigen konnte. Ein Kind, das sie ausdruckslos ansah, als sie einer Eingebung folgend vorschlug, sein Zimmer in der Farbe eines Sonnenuntergangs zu streichen und einen aufgehenden Mond über sein Bett zu malen. Er hatte gefragt, ob er nicht auf ihn herunterfallen würde. Wer?
Der Mond.
Er ist doch nur gemalt, Michael. Es ist ein Phantasiebild. Oh. Kann ich was zu essen haben?
Sie hätte auch gern einen Beruf gehabt - aber das war damals nicht üblich. Und so hatte sie bis jetzt warten müssen. Julia dachte daran, wie sie dieses wichtige Kapitel ihres Lebens um ein Haar verpasst hätte. Sie beschäftigte sich nicht oft mit ihrem dilettantischen Selbstmordversuch - es war ihr viel zu peinlich - und wenn, dann nur, indem sie sich fragte, wo sie mit ihren Gedanken gewesen war. Wahrscheinlich bei JJ, ihrer beständigsten und leidenschaftlichsten Marotte. Nun ja - wenn der Kummer einen in den Klauen hatte, fiel es schwer zu glauben, dass ein neuer Anfang möglich wäre.
»Könntest du mir Autogramme von ihnen beschaffen?«, fragte Michael.
»Wie bitte?« Sie würde ihrem Sohn nie von ihrer Verzweiflungstat erzählen können. Aber das war ja auch nichts, was man seinen Kindern erzählte.
»Autogramme von den Boygroups«, präzisierte er seinen Wunsch. »Für Susan. Sie ist ganz verrückt nach diesen Jungs.«
»Wie gefällt es ihr denn in der Wohnung?«, erkundigte sich Julia. Die ursprünglich ihr zugedachte Garage beherbergte jetzt ihre Enkelin.
»Sehr gut. Allerdings passt ihr nicht, dass wir einen Schlüssel dafür haben. Sie sagt, das beschneide ihre Intimsphäre. Stell dir das vor! Gillian hat ihr erklärt, dass sie da bei ihr auf Granit beiße.«
»Sehr gut!«, lobte Julia indigniert. »Sie hat völlig Recht. Das Kind ist erst dreizehn. Ich finde es äußerst liberal von euch, dass ihr sie überhaupt schon allein wohnen lasst.«
»Um die Wahrheit zu sagen - wir hatten gar keine Wahl«, gestand Michael düster. »Sie drohte, sie würde mit Gavin weglaufen, wenn wir es nicht erlaubten.«
»Dann ist er immer noch aktuell?«
»Mmm. Charlie kommt am Wochenende
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