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Kleiner Hund und große Liebe

Kleiner Hund und große Liebe

Titel: Kleiner Hund und große Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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fünfjähriges Kind kurz vor dem Weltkrieg durch eine Rote-Kreuz-Aktion nach Schweden. Die Skandinavier nahmen damals viele jüdische Kinder auf und retteten ihnen so das Leben. Auf Umwegen erfuhren die schwedischen Pflegeeltern, daß die Eltern ihres Pflegekindes in der Gaskammer den Tod gefunden hatten.
    Das Kind wurde getauft und evangelisch erzogen, es bekam eine gute Ausbildung bei den Pflegeeltern. Während ihrer Studienzeit lernte sie Miriams Vater kennen. Er war genau wie sie ein jüdisches Pflegekind aus der Tschechoslowakei, auch er war ganz allein auf der Welt. Wie und warum sie nach Deutschland kamen - das überspringe ich vorerst, das ist unwesentlich. Nach ein paar Jahren bekamen beide die deutsche Staatsangehörigkeit, sie lernten die deutsche Sprache perfekt. Miriams Vater war Chemiker und arbeitete in einer großen, bekannten Firma. Als er starb, verschaffte die Firma der Witwe eine Stellung als Korrespondentin in einer neu eröffneten Filiale in Lübeck.
    Das ist die Vorgeschichte.
    Miriam kam mit fünfzehn Jahren in eine neue Schule, in einer neuen Stadt. Sie war viel allein, die Mutter war ja voll berufstätig. Elaine, kannst du dir denken, wie es für ein fünfzehnjähriges Mädchen ist, immer allein zu sein? Sie kam aus der Schule nach Hause in die leere Wohnung, sie hatte keinen Menschen, mit dem sie sprechen konnte. Sie räumte auf, sie machte Einkäufe, sie bereitete das Mittagessen vor - und es war still, furchtbar still überall. Aus den Nachbarwohnungen klangen Menschenstimmen, Lachen, Kinder machten Lärm, sie hörte Schritte, Telefone klingelten. Bei ihr war es still. Ganz, ganz still.
    Der große Lichtblick des Tages war der Augenblick, wenn sie den Schlüssel in der Wohnungstür hörte, der Augenblick, wenn die Mutter nach Hause kam. Mutter und Tochter hatten eine gemeinsame Eigenschaft: Sie konnten nur schwer Freundschaften schließen. Ich weiß nicht, ob es damit zusammenhängt, daß ihre Vorfahren stets auf der Hut sein mußten, daß sie sich aufgrund der ständigen Verfolgung isoliert fühlten, daß sie ganz einfach Angst hatten. Jedenfalls dauerte es lange, bis Miriam sich einigermaßen wohl fühlte in der Schule, bis sie mit ein paar Klassenkameraden ab und zu ausging, bis hin und wieder ein Mädchen auf einen Sprung zu ihr kam.
    Dann geschah das, was der Anfang des Unglücks war. Als sie in die 12. Klasse gekommen war, erschienen zwei neue Jungen in der Klasse. Sie waren Zwillinge, Söhne eines neu zugezogenen Geschäftsmannes. Miriam sah diese beiden Jungen eines Nachmittags auf der Straße. Sie ging gerade an der Synagoge vorbei und sah, daß diese Jungen mit Kreide große Hakenkreuze an die Wand malten. ,Was soll denn das?’ rief sie. ,Schämt ihr euch nicht?’ ,Halt deinen Mund, du Drecksjüdin’, bekam sie als Antwort. Von dem Augenblick an machten ihr die beiden Jungen das Leben zur Hölle. Sie verkündeten laut in der Klasse: ,Wißt ihr, daß die Miriam Jüdin ist?’ Eines Tages fand sie ihre Schultasche mit einem großen Hakenkreuz bemalt, und an einem Morgen stand mit roter Farbe auf der Haustür des Mietshauses, in dem sie wohnte: ,Hier wohnen Juden. Raus mit ihnen!’“
    „Um Gottes willen“, flüsterte Mama. „Gibt es noch so etwas?“
    „Ja, leider, Bernadette. So etwas gibt es. Selten - aber es kommt vor. Es leben immer noch Judenhasser in Deutschland - es gibt verrückte Menschen, die behaupten, daß die Berichte von der Judenverfolgung, den Konzentrationslagern und den Gaskammern erfundene Propaganda ist! Es gibt die sogenannten Neonazisten. Es gibt kleine Gruppen von diesen Menschen, und einer solchen Gruppe gehörten die beiden Quälgeister an. Sie mobilisierten ihre Gruppenfreunde, und bald war Miriam einer regelrechten Verfolgung ausgesetzt. Wenn sie Einkäufe machte, konnte es passieren, daß jemand ihr die Tasche aus der Hand riß und auf der Straße umstülpte, so daß der Inhalt von vorbeifahrenden Autos zerquetscht wurde. Ihre Schultasche wurde ihr auf dem Schulweg ausgeleert, die Jungen trampelten auf ihren Büchern in Schnee und Matsch herum.
    Oh, es gab tausend schreckliche Sachen, ich könnte die ganze Nacht davon erzählen! Als einige dieser Jugendlichen sich vor der Polizei verantworten mußten - wo sie übrigens mit einer Verwarnung davonkamen - behaupteten sie, Miriam hätte sie angezeigt. Was nützte es ihr, daß sie versicherte, es sei nicht der Fall?
    Sie war so hilflos, so unfähig, sich zu verteidigen und zu behaupten. Sie kämpfte

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