Kleiner Hund und große Liebe
recht in der Annahme, daß wir diese wahnsinnig nette Familie sind?“
„Unbedingt“, antwortete Jessica und stellte einen überdimensionalen Zitronenpudding in den Kühlschrank. „Weißt du selbst, Elaine, was für ein unwahrscheinliches Glück du im Leben hast? Die Offenheit, die Liebe, die Güte und die gute Laune in deinem Elternhaus, das ist alles so einmalig, so wunderbar, daß du eigentlich jeden Tag dem lieben Gott dafür danken müßtest!“
„Das tue ich auch, wenn auch nicht gerade jeden Tag“, gab ich zu. „Weißt du, als ich klein war, dachte ich nie darüber nach. Es war so selbstverständlich, daß Eltern lieb sein sollten, und beinahe immer fröhlich und guter Laune. Erst später wurde mir klar, wie gut wir es haben. Ich habe ab und zu miterlebt, wie meine Schulkameraden es zu Hause haben. Da waren geschiedene Eltern, da waren Väter und Mütter, von denen man sich erzählte, daß sie ,fremdgingen’, da waren berufstätige Mütter, die den ganzen Tag fort waren. Da waren Kinder, die tagsüber bei der Oma waren, oder kleinere Geschwister, die jeden Morgen in ein Kinder-Tagesheim gebracht wurden.“
„Kein böses Wort über die Tagesheime“, sagte Jessica, „und kein böses Wort über die Mütter, die berufstätig sind, weil sie es müssen! Und vor allem kein böses Wort über die Omas, die einspringen und es der Tochter oder Schwiegertochter möglich machen, Geld zu verdienen. Aber - ja, jetzt kommt eben ein Aber! - ich meine, wenn es nicht unbedingt notwendig ist, daß die Mutter mitverdient, dann sollte sie bei ihren Kindern bleiben und lieber auf den Farbfernseher, das Zweitauto, den Geschirrspüler oder die Mallorca-Reise verzichten. Das sind alles sehr schöne Dinge, aber wenn sie mit der Einsamkeit der Kinder bezahlt werden müssen, sind sie doch zu teuer!“ Ich nickte.
„Dasselbe sagen meine Eltern! Aber nun ist Mama ja in der glücklichen Lage, daß sie auch zu Hause etwas mitverdienen kann. Manchmal schneidert sie für Nachbarinnen und deren Freundinnen. Sogar hier! Ich weiß nicht, woher die Leute Wind davon bekommen haben, aber tatsächlich weiß das ganze Dorf, daß die Frau Grather im Haus Föhreneck schneidern kann!“
„Dann ist es ja gut, daß Miriam kommt“, meinte Jessica. „Sie wird deiner Mutter viel Arbeit abnehmen können! Sie ist eine Expertin in Wäschepflege, sie bügelt und mangelt, wie. ich weiß nicht was, und sie ist so ordentlich, daß es sich nicht beschreiben läßt!“
„O Himmel!“ rief ich. „Dann muß ich aufpassen, daß sie nie meine Schränke und Schubladen von innen zu sehen bekommt! Dann würde sie in Ohnmacht fallen! Aber sag mal, soll nun Miriam hier arbeiten?“
„Klar, was denkst du? Sie kann doch nicht den ganzen Tag dasitzen und Daumen drehen! Sie möchte gern Aufgaben haben, sie will gern arbeiten - nein, ohne Gehalt, sie ist froh, wenn sie ein kleines Taschengeld bekommt. Ja, und noch etwas, Elaine: Ihr sollt keine Rücksicht nehmen, ihr braucht sie nicht mit seelischen Samtpfötchen anzufassen! Ihr könnt frei und offen über alles sprechen, und ich bitte dich und euch, nur so zu sein, wie ihr es immer seid! Miriam braucht eine sonnige, liebevolle Umgebung, und es ist dringend nötig, daß sie aus Lübeck fortkommt. Ach, diese schöne Stadt mit so vielen netten, freundlichen Menschen - warum hat nun die kleine Miriam das Pech gehabt, solche Auswüchse kennenzulernen?“
„Es ist mir so vollkommen unverständlich“, sagte ich. „Erstens, daß man etwas gegen einen Menschen wegen seiner Rasse haben kann. Zweitens, daß es wirklich Menschen gibt, die aus der schrecklichen Vergangenheit nichts gelernt haben. Und drittens, daß es jemand übers Herz bringen kann, einen Mitmenschen so zu quälen.“
„Und viertens“, ergänzte Jessica, „daß es Leute gibt, die aus lauter Geldgier so eine ,Sekte’ auf die Beine stellen! Es gibt genug seriöse, ehrliche Sekten - denk an die Methodisten, die Baptisten, oder die Zeugen Jehovas. Diese Menschen haben eine ehrliche Überzeugung, es sind Idealisten, die mit Recht wütend werden, wenn so ein gemeines Unternehmen sich auch ,Sekte’ nennt! Oh, das bringt mich auf die Palme!“
„Dann treffen wir uns im Palmenwipfel“, sagte ich. „Übrigens, falls etwas eingekauft werden soll, bin ich willig und bereit, zum Kaufmann zu gehen.“
„Ja, ich weiß nicht - es sind ein paar Reste im Kühlschrank, die wollte ich ja verwerten. Siehst du, etwas gebratener Fisch.“
„Der ist für
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