Kleiner König Kalle Wirsch
reden von
Dingen, die wir nicht kennen.«
Mit einem Stück Kreide schrieb er alle
Wörter, die ihm fremd waren, an die Kohlenwände. Auf diese Weise entstand eine
merkwürdige Art von Wörterbuch, in dem Juke eifrig studierte.
Oft verstand er nicht alles, was
gesprochen wurde. Manchmal drangen nur die Fetzen eines Gesprächs durch seinen
Trichter. Dann grübelte er tagelang über einem unvollständigen Satz und
versuchte, ihn selbst zu ergänzen. Er nannte das sein »Problem«, und er litt
echte Qualen, wenn ihm die Lösung nicht gelingen wollte.
Einmal trafen ihn die Wirsche, als er
gerade mit einem »aus-Problem« beschäftigt war. Eine Geschichte, der er
gelauscht hatte, war mitten in einem Wort abgebrochen, das mit der Vorsilbe
»aus« begonnen hatte. Es war eine spannende Erzählung gewesen von einem Mann,
der in der Welt umhergeirrt war. Bei der Schilderung seiner Heimkehr hatte Juke
ausgerechnet das letzte Wort verpaßt. »Aus...« war noch zu ihm gedrungen und
dann nichts mehr.
Kalle erinnerte sich deutlich, wie
aufgeregt Juke damals gewesen war.
»Aus...!« hatte er den Wirschen
entgegengerufen und die Hände gerungen. »Ich bitte euch, man kann mich doch
nicht diesem >aus< ausliefern! Ich werde nie erfahren, was dem armen Mann
geschehen ist, der aus der Fremde heimkehrte. Wurde er ausgestoßen? Wurde er
ausgeplündert, ausgehorcht, ausgeraubt, ausgebeutet, ausgehungert, ausgerottet,
ausgeräuchert? Oder am Ende auserwählt, auserkoren?«
Kalle hatte ihn beruhigen wollen.
»Deine Phantasie ist zu hitzig, Juke«, hatte er gesagt. »Wie wär’s mit
auslüften? Vielleicht wollten sie ihn nur auslüften?«
Aber das war Juke ganz unpassend
erschienen. Er hatte Kalles Wortvorschlag energisch abgelehnt und hegte seit
dieser Zeit starke Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Wirsche.
Im Augenblick aber war er in ein neues
Problem verstrickt: Er suchte Wörter mit der Vorsilbe »so«.
»Zwanzig müssen es sein«, erklärte er.
»Und aus diesen zwanzig so-Wörtern muß ich dann eine zusammenhängende
Kurzgeschichte machen.«
»Aber warum denn nur?« erkundigte sich
Kalle Wirsch. »Wer verlangt denn so etwas von dir?«
»Verlangen?« Juke schüttelte mißbilligend
den Kopf. »Das kann niemand verstehen, dem die Wörter nicht wichtig sind.«
»Wichtig wäre es mir, so schnell wie
möglich weiterzukommen«, murmelte Kalle. Er sah mit Besorgnis, daß sie schon
wieder viel Zeit verloren.
Aber Juke hatte Max und Jenny bereits
an eine seiner Tafeln gezogen und las ihnen seine so-Wörter vor:
»Sodann, sobald, soeben, sofern,
sofort, sogar, sogleich, somit, sooft, sosehr, soundso, soweit, soviel,
sowenig, sowie, sohin, sowohl, sozusagen, sogenannt. — Was sagt ihr dazu? Neunzehn
sind es; zwanzig müssen es sein. Ein einziges fehlt mir noch. — Wie heißt es?«
Er wendete sich an Max, und es lag so
viel Vertrauen in seiner Stimme, daß es Max sehr peinlich war, nicht gleich mit
einem weiteren Dutzend so-Wörtern aufwarten zu können, aber es fiel ihm kein
einziges mehr ein.
Juke war jedoch fest überzeugt, daß
ihm diese Menschenkinder weiterhelfen würden. Er blickte Jenny an und meinte:
»Aber du weißt noch eins.«
»Bestimmt nicht«, sagte Jenny. »Wenn
Max schon keins einfällt. Ich bin sowieso viel dümmer als er.«
»Sowieso!« schrie Juke. »Das ist es.
>Sowieso< hat noch gefehlt. Jetzt haben wir die zwanzig beisammen. — Ach,
Menschen!« schwärmte er. »Ich hab’s ja gewußt, ich hab’s ja gewußt!«
Er tanzte von einem Bein auf das
andere und führte sich so überschwänglich auf, daß Kalle wieder richtig
verdrießlich dreinschaute. »Wenn er zehn Beine hätte, würde er auf allen zehn
gleichzeitig tanzen«, brummte er.
Juke ließ sich durch Kalles Mißmut
nicht bekümmern. »Weiter!« rief er. »Jetzt die Kurzgeschichte. Sie muß so kurz
wie möglich sein und darf außer den so-Wörtern nur ganz wenige andere
enthalten.«
Um die Sache zu beschleunigen,
beteiligte sich auch Kalle Wirsch an den gemeinsamen Bemühungen, und nach
vielem Hin und Her hatten sie endlich folgendes zusammengebastelt:
» So eben ist der so genannte
Herr So undso erwacht. So fern er nicht so gleich arbeitet,
frühstückt er so wieso so fort, so gar mehr als sonst. So dann
ist er so zusagen satt, aber so bald er aufstehen will, wird er so wohl
ärgerlich als so mit sorgenvoll, denn so wie, so oft, so sehr
und so viel er sich abmüht, so wenig kommt er hoch: er klebt so hin
am Stuhl, so weit er feststellen kann.«
Alle
Weitere Kostenlose Bücher