Kleiner König Kalle Wirsch
Erdspalt. Er ist schon
vorausgegangen.«
»Los, ihm nach!« schrien alle Wirsche.
Sie strebten einem Erdloch zu, das
sich dicht neben Kalle auftat, und obwohl er brüllte und zeterte, so laut er
konnte, waren sie nicht aufzuhalten. Sie zwängten, drängten und schoben sich
alle gleichzeitig in den Erdspalt und waren im Handumdrehen verschwunden.
»Fort! Jetzt sind sie fort!« jammerte
Kalle.
So nah waren sie ihm gewesen, daß er
seine Erlösung schon erreicht glaubte, und nun hatte er sie mit seiner dumpfen
Stimme getäuscht.
>Jetzt ziehen sie ohne mich
los<, dachte Kalle, >und es wird eine Weile dauern, bis sie merken, daß
ich nicht bei ihnen bin.<
So war es auch. Die Wirsche vermißten
ihren König vorerst nicht. Sie liefen eilig dahin. Hinten und in der Mitte des
langen Zuges dachten sie, der König sei an der Spitze, und die vorderen
glaubten, er befände sich in der Mitte.
Wie konnten sie auch ahnen, daß Kalle
Wirsch in der Hülle eines Gartenzwerges steckte und seit kurzem den Kindern Max
und Jenny gehörte?
Max und Jenny, dachte Kalle. Das waren
jetzt die einzigen, die ihm helfen konnten. Wenn es doch schon Tag wäre, wenn
sie doch ganz schnell kämen!
Aber es dauerte lange, bis sie kamen.
Am Vormittag mußten sie zur Schule,
und kaum waren sie nach Hause gekommen, wurden sie zum Essen gerufen. Dann
mußten sie Aufgaben machen und danach noch ihr Zimmer aufräumen.
>Wenn das eine fröhliche Kindheit
sein soll!< dachte Kalle erbost.
Er wartete wütend und verzweifelt, und
er wurde von Minute zu Minute wütender und verzweifelter. »Ich will hier ’raus,
ich will ’raus, ’raus, ’raus«, kreischte er.
Als Max und Jenny endlich im Garten
erschienen, blitzte es schon ganz rot aus seinen Augen, so sehr hatte er sich
abgewütet in seinem engen Gefängnis.
Jenny kauerte sich zu ihm hin und
blickte ihn verwundert an. »Das ist komisch«, sagte sie. »Gestern kam er mir
traurig vor, heut’ sieht er richtig böse aus.«
»Böse!« schrie Kalle Wirsch. »Ich
möchte mal wissen, wie du aussiehst, wenn sie dich in Ton einbacken.«
Jenny fuhr erschreckt zurück. »Max,
hast du das gehört? — Da hat etwas geredet.«
Max hatte es auch gehört. »Aber da ist
doch gar nichts.«
»Nichts?« zeterte Kalle Wirsch. »Bin
ich vielleicht nichts? Habt ihr nichts gekauft, habt ihr nichts nach Hause getragen, steht nichts vor eurem Beet?!«
Die Kinder wichen ein paar Schritte
zurück und starrten ihren Gartenzwerg entgeistert an.
»Der ist wirklich lebendig«, sagte Max,
»der redet.«
»Wie er die Augen rollt«, flüsterte
Jenny.
»So — merkt ihr endlich was«, sagte
Kalle Wirsch. »Jetzt können wir hoffentlich vernünftig miteinander verhandeln.«
Er gab sich große Mühe, laut und
deutlich zu sprechen. Max und Jenny rutschten wieder ein bißchen näher heran.
»Wir hatten ja keine Ahnung...«,
stotterte Max. »Gibt’s denn noch mehr lebendige Gartenzwerge?«
»Es gibt überhaupt keinen lebendigen
Gartenzwerg, keinen einzigen gibt es.«
»Aber du...«
»Unsinn«, unterbrach Kalle. »Ich bin
kein Gartenzwerg. Ich habe nichts mit diesen gelackten Trotteln zu tun.«
»Ja aber...«, wollte Jenny schüchtern
einwenden.
»Ja aber«, unterbrach Kalle
wieder unfreundlich. »Immer aber, aber, aber. — Fragt nicht so viel,
fragt nicht so dumm. Ihr werdet schon erfahren, was ihr wissen müßt. Nicht mehr
und nicht weniger. — Und jetzt zerschlagt mich erst mal!«
»Zerschlagen?« Max schüttelte
energisch den Kopf. »Kommt überhaupt nicht in Frage. Wir sind ja froh, daß wir
dich haben. Wir werden doch keinen lebendigen Gartenzwerg kaputtmachen.«
»Hiiii-käckäckäck«, schimpfte Kalle
aus seinem Gehäuse heraus. »Hat man schon so was Dummköpfiges gesehen. Da
schickt man euch in die Schule, da läßt man euch eine halbe Ewigkeit lang
Aufgaben machen, aber ihr begreift nichts, rein gar nichts. — Ich bin kein
Gartenzwerg, und ihr sollt mich kaputtmachen, versteht ihr: ka-putt-ma-chen!«
»Wenn du so weiter tobst, gehst du
bestimmt von allein kaputt«, sagte Jenny. Dann nahm sie den kleinen Kerl in die
Hände und streichelte ihn sanft über den Rücken. »Warum willst du denn
eigentlich kaputtgehen?«
Kalle wurde etwas milder. »Ich will doch nicht kaputtgehen.«
»Du hast es doch gerade gesagt.«
»Das habe ich nicht gesagt. Ich will nicht kaputtgehen, der andere soll kaputtgehen, der Gartenzwerg.«
»Aber das ist doch dasselbe.«
»Neiiiin«, schrie Kalle ungeduldig. »Ich bin der
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