Kleiner Kummer Großer Kummer
nahe sie daran gewesen war, diesen schwächlichen, kurzgeratenen Playboy, den sie nicht liebte, zu heiraten, machte mich schaudern, aber ich zog es vor, nicht daran zu denken. Manchmal konnte ich es kaum glauben, daß sie wirklich meine Frau war, und selbst nach sechs Monaten war ich noch nicht über das Wunder hinweggekommen, mit ihr verheiratet zu sein. Ich wußte, daß ich ein glücklicher Mann war. Meine Praxis befriedigte mich, ich liebte meine Arbeit und meine Patienten, und mein Wartezimmer wurde immer voller.
Dazu hatte ich noch das geliebte Wesen. Arme Sylvia! Manchmal litt ich unter Gewissensqualen, wenn ich sie beobachtete, wie sie tapfer gleichzeitig mit einer Fleischpastete und einer unleserlichen Nachricht vom Laboratorium kämpfte, oder wenn ich sie am Telefon fand, wo sie, noch triefend vom Badewasser und mit vor Kälte klappernden Zähnen, irgendeiner zeitraubenden, weitschweifigen Nachricht lauschte, die sie dann zu einem kurzen Bericht für mich verarbeiten mußte.
Als Starmannequin in einem erstklassigen Modesalon war sie an lange Arbeitszeit und harte Arbeit gewöhnt. Jahrelang hatte sie ihre Tage damit verbracht, vom Fotoatelier nach einem eleganten Hotel und vom Schneideratelier nach dem Flughafen zu hetzen, wenn sie nicht gerade stundenlang vor einer Kamera stehen mußte. Nun waren die einzigen Orte, nach denen sie eilen mußte, die Türen und das Telefon, und der einzige Apparat, vor dem sie stand, war das Spülbecken in der Küche. Zugegeben, sie hatte nur eine schwierige Aufgabe gegen eine andere eingetauscht, aber bei der jetzigen fehlte der Beifall.
Ich hatte sie vor unserer Hochzeit, so gut ich konnte, für ihre Rolle als Frau eines praktischen Arztes vorbereitet. Es war darum keine Überraschung für sie, als sie merkte, daß ich - ohne daß sie es je gelernt hatte - von ihr die Übernahme des Unfallbereitschaftsdienstes erwartete, der ihr, während ich Besuche machte, alles mögliche aufbürdete, von der beruhigenden Beantwortung aufgeregter Telefonanrufe bis zu unvorhergesehenen Notverbänden, die sie außerhalb der Sprechstundenzeiten an der Wartezimmertür anlegte.
Sie hatte viele ihrer eigenen Pflichten als Frau eines praktischen Arztes vorausgesagt und glaubte, sie wüßte ein gutes Teil über die meinen. Was sie neben der allgemeinen Praxis jedoch immer wieder in Erstaunen setzte, war die Tatsache, daß ich zwischen Rasieren und Frühstück ein Leben rettete und es als Routinesache abtat, oder daß ich den Tod eines Patienten, der zur Mittagszeit gestorben war, feststellte und dann ruhig zurückkam, um meine Suppe zu essen. Da ich ihre bösen Ahnungen kannte, die sie ein Jahr lang davon abgehalten hatten, mich zu heiraten und damit das Leben der Frau eines Vorort-Kassenarztes zu führen, beobachtete ich sie besorgt, während die ersten Monate dahingingen. Trotzdem waren die Gefahren, die wir in der ersten Zeit unseres Ehelebens zu überwinden hatten, unbedeutend, wenn man sie mit den garstigen Prüfungen verglich, die wir in den Wochen, bevor wir endlich den Altar erreichten, durchzustehen hatten.
Diese voreheliche Periode brachte meine Nerven - ich hatte bisher gar nicht gewußt, daß ich welche besaß - fast zum Zerreißen, und mein Gewicht schwand dahin. Ich zweifle, daß ich es überlebt hätte, wenn es noch länger so weitergegangen wäre.
Die Wochen vor dem festgesetzten Hochzeitsdatum, in denen ich gezwungen war, meine Aufmerksamkeit zwischen Karbunkeln und Schränken (Neuanschaffungen für die Küche), zwischen vereiterten Mandeln und verschiedenen grauen Farbtönen (mir kamen sie alle ganz gleich vor) für die Eßzimmerwände zu teilen, schienen sich endlos dahinzuziehen. Während dieser Zeit überraschte es mich oft, daß ich niemals »lichtblauer Damast« antwortete, wenn eine Patientin mich fragte, welche Art von elastischen Strümpfen am besten für sie geeignet sei, oder daß ich nicht Mr. Hicks, unseren Klempner, empfahl, wenn ein Patient mich bat, ihn wegen seines Wassers an einen Spezialarzt zu überweisen.
Zu meiner größten Überraschung wurde der Hochzeitstag wirklich erreicht und reibungslos hinter uns gebracht. Faraday, mein Kollege, bester Freund und Brautführer, erinnerte mich an den Ring, den Rektor daran, eine schöne Rede mit passenden Hinweisen auf meinen ehrenvollen Beruf zu halten, und meine Mutter, nicht mehr als höchstens eine bescheidene Träne zu vergießen. Um elf Uhr, wenn ich sonst mit meiner Tasche den Gartenweg entlanglief, um
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